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Corona hilft E-Health

Autor Peter Reinhardt

Der Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus beschert E-Health-Lösungen aktuell einen mächtigen Schub. Doch die Digitalisierung bietet noch viel mehr Möglichkeiten. Alleine die zu erfüllenden Regularien bremsen die Euphorie.

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Die Ausbreitung des Coronavirus beschleunigt die Verbreitung von E-Health. Parallel zur steigenden Nachfrage wird aber auch deutlich, dass Technologie und Regularien nicht auf Augenhöhe sind.
Die Ausbreitung des Coronavirus beschleunigt die Verbreitung von E-Health. Parallel zur steigenden Nachfrage wird aber auch deutlich, dass Technologie und Regularien nicht auf Augenhöhe sind.
(Bild: © venimo - stock.adobe.com)
  • Minimierung des Risikos einer Ansteckung durch Videosprechstunden und telemedizinische Versorgung.
  • Datenschutz, ethische Vertretbarkeit und Besitzstandsdenken bremsen die Digitalisierung in der Medizin.
  • Vorteile der künstlichen Intelligenz.

Ein Blick in die Historie zeigt: Nicht selten sind es Kriege und Katastrophen, die Entwicklungen in der Medizin und Medizintechnik voranbringen. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht wirklich, dass E-Health infolge der Ausbreitung des Coronavirus aktuell boomt. Parallel zur steigenden Nachfrage wird aber auch deutlich, dass Technologie, Akzeptanz und Regularien nicht unbedingt auf Augenhöhe sind. Zumindest theoretisch ermöglicht Software heute schon vieles, was aus unerfindlichen Vorbehalten vor den Möglichkeiten der Digitalisierung ausgebremst oder regulatorisch noch nicht zufriedenstellend gelöst ist. Zwar wurden mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG), der Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) und dem Patientendatenschutz-Gesetz (PDSG) noch rechtzeitig vor der Corona-Pandemie wichtige und – wie viele Experten bekunden – richtige Maßnahmen eingeleitet, doch gibt es noch Handlungsbedarf. Das sollte in der aktuellen Situation nicht vergessen werden.

E-Health verzeichnet derzeit gigantische Wachstumszahlen

Fakt ist jedoch: E-Health, Telemedizin und Co. boomen. So erwartete zum Beispiel Teleclinic als einer der Marktführer unter den Diensten für Online-Arztbesuche schon vor Ausbruch des Coronavirus-Wahnsinns für 2020 eine Verfünffachung der Beratungsgespräche. Waren telemedizinische Behandlungen bisher Selbstzahlern und Privatversicherten vorbehalten, will Teleclinic diesen Dienst noch in der ersten Jahreshälfte 2020 erstmalig auch gesetzlich Versicherten anbieten und so die Marke von 100.000 Behandlungen knacken.

Und das soll erst der Anfang sein. Jährlich werden in Deutschland eine Milliarde Arztbesuche wahrgenommen, rund 50 bis 75 Prozent davon könnten nach Einschätzung von Katharina Jünger, Teleclinic-CEO, abschließend telemedizinisch versorgt werden. Das zeige die Erfahrung der letzten Jahre. „Diesen neu entstehenden Markt wird die Teleclinic als First Mover und Marktführer besetzen, und partizipiert damit an Europas größtem Gesundheitsmarkt, an dem jährlich allein für die ambulante Versorgung 39 Mrd. Euro umgesetzt werden“, so Jünger.

Doch Teleclinic ist mitnichten einziger Anbieter entsprechender Services. Alleine rund 5.000 Ärzte haben sich im Rahmen der aktuellen Coronavirus-Welle für Clickdoc von der Compu Group Medical (CGM) registriert. Seit der ersten Märzwoche stellt die CGM Ärzten ihre Videosprechstundenlösung kostenlos zur Verfügung. So können Ärzte, Praxisteams und andere Patienten in vielen Fällen dem Ansteckungsrisiko durch Patienten mit Verdacht auf eine Infektion mit Covid-19 entgehen.

„Anwendungen wie die Videosprechstunde machen es mir und meinem Praxisteam in dieser akuten Situation möglich, schnell und effektiv für die Patienten zu handeln“, sieht Dr. Kenan Katmer viele Vorteile. Der Bochumer Facharzt für Innere Medizin und Allgemeinmedizin hat sich im Zuge der Corona-Pandemie für die Nutzung von Clickdoc entschieden. „In dieser aktuellen Lage ist jeder Patient mit grippeähnlichen Symptomen auch ein Risiko für mich als Arzt, Familienvater, für das Praxisteam und die anderen Patienten.“ Mit der Videosprechstunde kann dieses Risiko minimiert werden.

Im Rahmen des sich immer weiter ausbreitenden Covid-19-Virus hatte CGM bereits Ende Februar entschieden, seine Videosprechstundenlösung bis auf Weiteres kostenlos für alle Ärzte zur Verfügung zu stellen. Das Unternehmen sorgte schon im Sommer des vergangenen Jahres mit einer Meldung über fast 300 neu angestellte Mitarbeiter in einem Zeitraum von gerade mal zwölf Monaten für positive Schlagzeilen. E-Health hat also grundsätzlich Potenzial, erfährt aber nun einen zusätzlichen Schub. „Alle damit verbundenen Bedenken – so scheint es – sind plötzlich wie weggeblasen“, kommentiert Manfred Klein, Chefredakteur des Online-Portals Healthcare Computing, die plötzliche Konjunktur von Telemedizin, E-Konsultation und E-Rezepten.

Eine aktuelle Pressemeldung der Barmer legt den Verdacht nahe, dass Klein recht hat. Demnach können niedergelassene Ärzte Patienten nach telefonischer Rücksprache bis maximal sieben Tage arbeitsunfähig schreiben. Es bedarf also nicht einmal eines zumindest viral-visuellen Eindrucks. Gedacht sei diese Vereinfachung für Fälle von leichten Erkrankungen der oberen Atemwege, also zum Beispiel grippale Infekte. Nicht zum Tragen kommt die Vereinfachung dagegen bei begründetem Verdacht auf eine Infektion durch das Coronavirus. Darauf weist die Barmer mit Blick auf eine Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland ausdrücklich hin. Damit sei eine der gegenwärtigen Situation angepasste – und vor allem die Hausarztpraxen entlastende – Lösung rasch umgesetzt worden, findet die Barmer. Ach ja, das noch: Die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit kommt dann per Post. Da ist sie also wieder, diese nur schleppend vorankommende Digitalisierung.

Besitzstandsdenken und Datenschutz bremsen die Digitalisierung

„Verschlafen wir die Zukunft?“, fragt also im Zweifel völlig zu Recht Prof. Alfons Runde von der SRH Fernhochschule – The Mobile University. Der Experte für die Digitalisierung in der Medizin beleuchtet gerne und kritisch die Chancen und Herausforderungen der Zukunft. „Die Videosprechstunde, das elektronische Rezept oder der elektronische Medikationsplan – all dies sind Vorboten einer Entwicklung, die durch maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz in eine neue Epoche unserer Gesundheitsversorgung führt“, prophezeit Prof. Runde. Die Anforderungen insbesondere an den Datenschutz, an die ethische Vertretbarkeit und das Besitzstandsdenken hätten jedoch dazu geführt, dass die digitalen Möglichkeiten in der Medizin in Deutschland nur sehr schleppend eingeführt werden. „Hier ist ein Umdenken dringend notwendig. Es gilt abzuwägen, ob die Bedenken ein Hinauszögern medizinisch-pflegerischen Nutzenzuwachses gegenüber denjenigen rechtfertigen, die hiervon hätten profitieren können“, fordert der Gesundheitsökonom. Es scheint, als würde diese Forderung, Coronavirus sei „Dank“, schneller als gedacht erfüllt werden – zumindest vorübergehend.

Weltweit agierende Tech-Konzerne wie Google, Amazon, Apple und Facebook jedenfalls haben das Potenzial der Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung längst erkannt. „Die Konzerne investieren Millionenbeträge, um neuartige Dienste, zum Beispiel in der Datenhaltung und -analyse oder für web-basierte Diagnose- und Therapieprogramme, zu entwickeln“, erklärt Prof. Runde. So nutze beispielsweise die amerikanische Klinik- und Ärzte-Kette Ascension die Cloud-Computing-Lösung von Google, und Apple biete bereits wesentliche Teile einer elektronischen Patientenakte an.

Für die Zukunft hat Prof. Runde eine klare Botschaft: „Die Nutzung digitaler Verfahren in der Gesundheitsversorgung sollten wir nicht allein Google & Co überlassen. Wenn jedoch unser auf Selbstverwaltung beruhendes Gesundheitssystem nicht die Kraft findet, bisherige Strukturen und Prozesse zu erneuern, so besteht die Gefahr, dass die Möglichkeiten der Digitalen Medizin den Bundesbürgern weitgehend verschlossen bleiben.“ Denn während die Politik Milliardenbeträge in autonomes Fahren investiert, stehe die digitale Medizin weit abgeschlagen auf einem hinteren Rangplatz der Agenda.

Dabei gibt es wohl keinen besseren Lehrmeister in Sachen Künstlicher Intelligenz (KI) als Google. Wo aber liegt der Nutzen von KI in Medizin und Medizintechnik? KI kann Ärzte und Pflegekräfte dabei unterstützen, die wachsende Datenflut zu bewältigen, sie von Routineaufgaben entlasten oder auch die Diagnostik und Therapieentscheidung erleichtern. Und welche Rolle spielt KI tatsächlich im Gesundheitswesen? Der jüngste „Philips Future Health Index“ zeigt ein durchaus positives Ergebnis, sowohl in Bezug auf die Akzeptanz als auch die Nutzung von KI. Zugleich wird aus der Umfrage deutlich, dass die Potenziale von KI noch nicht in vollem Umfang in der Gesundheitsversorgung genutzt werden.

Google & Co. als Lehrmeister für die Nutzung Künstlicher Intelligenz

41 Prozent der medizinischen Fachkräfte in Deutschland nutzen heute KI-gestützte Technologien in ihrer täglichen Arbeit. Damit liegen sie im Vergleich zu China (85 Prozent) zwar deutlich zurück, sind jedoch etwa gleichauf mit US-Kollegen (33 Prozent). Innerhalb Europas sind Italien (59 Prozent) und Frankreich (54 Prozent) Deutschland etwas voraus. Ein typisches Anwendungsfeld für KI ist die Diagnostik. Dort wird KI für eine verbesserte Bildqualität oder das automatisierte Erkennen von Befundauffälligkeiten eingesetzt.

Darüber hinaus kommt KI auch in der Therapie zum Einsatz, wo sie unter anderem bei der Planung und Umsetzung von Behandlungsplänen unterstützt. Am häufigsten wird KI derzeit aber über die meisten Länder hinweg bei der Terminplanung angewendet – sowohl für die Patientenkoordination als auch für die Optimierung von Arbeitsplänen. Fragt man die Bevölkerung, geben übrigens bereits rund 58 Prozent der Deutschen an, über die Nutzung von KI im Gesundheitswesen Bescheid zu wissen. Das lässt doch auf eine künftig noch stärkere Nutzung hoffen.

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