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In-vitro-Diagnostika IVDR: Der Countdown zur Zertifizierung

Von Dunja Schildge-Reichmann*

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Zum jetzigen Stand haben vier benannte Stellen zwölf Monate Zeit, um ca. 34.000 auf dem Markt befindliche „Sonstige IVDs (In-vitro-Diagnostika)“ bis Mai 2022 zu zertifizieren, weil diese sonst kein gültiges CE-Zertifikat mehr haben werden. Klingt utopisch? Das findet auch Dunja Schildge-Reichmann, Head of IVD bei der Metecon GmbH, in ihrem Gastbeitrag.

Dunja Schildge-Reichmann, Head of IVD bei Metecon, zeigt in ihrem Gastbeitrag auf, was im Endspurt auf das IVDR-Anwendungsdatum bestenfalls noch unternommen werden sollte.
Dunja Schildge-Reichmann, Head of IVD bei Metecon, zeigt in ihrem Gastbeitrag auf, was im Endspurt auf das IVDR-Anwendungsdatum bestenfalls noch unternommen werden sollte.
(Bild: Metecon)

Am 26. Mai 2022 ist Geltungsbeginn der IVD-Verordnung (EU) 2017/746 (IVDR). Bis dahin haben die IVD-Hersteller und die EU-Kommission noch viel zu tun. Denn: Zum jetzigen Stand haben vier benannte Stellen zwölf Monate Zeit, um ca. 34.000 auf dem Markt befindliche „Sonstige IVDs (In-vitro-Diagnostika)“ bis Mai 2022 zu zertifizieren. Es könnte allerdings sein, dass das Anwendungsdatum der IVDR verschoben wird; ein entsprechender Antrag dafür wurde bei der europäischen Kommission eingereicht. Hat bei der Medical Device Regulation (MDR) ja auch geklappt. Ist das eine gute Nachricht? Natürlich! Ob eine Verschiebung aber Grund genug ist, die bisherigen Maßnahmen zur Anpassung ruhiger anzugehen? Keineswegs, denn es gibt viel zu tun.

Bei der diesjährigen RAPS (Regulatory Affairs Professionals Society) Euro Convergence im Mai wurde nicht nur von offizieller Seite diese Antragseinreichung bestätigt: Es steht außerdem zu vermuten, dass demnächst die fünfte benannte Stelle ihre IVDR-Benennung erhält – auch eine gute Neuigkeit, aber insgesamt auch ein recht schwaches Bild, denn wir wissen ja: 34.000 „Sonstige IVD“ bis Mai 2022.

Ebenfalls große Neuigkeiten gab es bei der RAPS in puncto europäische Referenzlabore: Da es länger dauern wird, bis die europäischen Referenzlabore ihre Arbeit im Rahmen der Erstzulassung und Batchprüfung für Klasse D-IVD-Produkte aufnehmen können, wird es vorübergehend auch ohne diese gehen müssen. Die Medical Device Coordination Group (MDCG) hat sich hierzu Gedanken gemacht: Vorerst wird es eine Zulassung von Klasse D-Produkten ohne Referenzlabor geben. Genaueres findet man in dem Guidance Dokument MDCG 2021-04: „During the transition period, as long as no EURL has yet been designated for that specific device, category or group of device, the notified bodies may accept applications for a class D IVD and issue the corresponding certificate(s)“.

One year left – Der aktuelle Stand

Zwar gibt es bislang erst wenige anerkannte benannte Stellen, aber die sind schon aktiv. Die Metecon-Experten haben ein erstes Feedback für alle IVD-Hersteller.

Wortwahl:

  • Achten Sie auf Ihr Wording: Benutzen Sie die Begriffe aus der IVDR. Benennen Sie die notwendigen Pläne und Berichte genau so wie gefordert.
  • Begründen Sie schlüssig, wenn eine Anforderung Ihrer Meinung nach nicht zutrifft. Denn die benannten Stellen arbeiten mit Checklisten; Lücken erzeugen Fragen und kosten Zeit.
  • Die Verordnung und demnach die benannten Stellen fordern: „Die vom Hersteller zu erstellende technische Dokumentation und, sofern erforderlich, deren Zusammenfassung wird in klarer, organisierter, leicht durchsuchbarer und eindeutiger Form präsentiert …“(IVDR, Anhang II)
  • Beachten Sie, dass die Schlussfolgerung Ihrer Datenanalyse in Schriftform vorliegt. Gehen Sie nicht davon aus, dass Ihr Auditor/Ihre Auditorin diese Schlüsse selbst zieht; Sie sind der Produktexperte.

Konsistenz:

  • Achten Sie auf einheitliche Formulierungen.
  • Eines der zentralen Dokumente ist der Intended Use, die Zweckbestimmung. Dieser dient als Basis für die Klassifizierung und bestimmt damit auch den Umfang der notwendigen Verifizierungs- und Validierungsmaßnahmen sowie den Umfang der Technischen Dokumentation. Bitte achten Sie bei der Zweckbestimmung, neben der Erfüllung der Anforderungen, auch unbedingt darauf, dass sie in den verschiedenen Dokumenten einheitlich formuliert ist.
  • Und Vorsicht bei den Claims: Was sagt Ihr Marketingmaterial? Ist das mit der Zweckbestimmung abgeglichen? Können Sie belegen, was Sie versprechen?

Schwerpunkte:

  • Zwei Themenkomplexe stehen bei der Prüfung durch die benannte Stelle im Fokus: Im Rahmen der Prüfung der Technischen Dokumentation: die Leistungsbewertung (Performance Evaluation) mit allen geforderten Berichten inklusive State of the Art und dem Risiko-Nutzen-Verhältnis. Und im Rahmen der Prüfung des QM-Systems: Post-Market Surveillance (PMS), das Lieferantenmanagement (QSVs - Qualitätssicherheitsvereinbarungen) und die Berücksichtigung des Lifetime Cycles im Allgemeinen.

One year left – Der Countdown

Man kann es nicht schönreden: Die Zeit läuft den IVD-Herstellern davon:

  • Von fünf Jahren Übergangsfrist ist nur noch ein Jahr übrig. Jeder hofft auf eine Verschiebung des Gültigkeitsbeginns auf 2023, aber wie sicher können Sie sich darauf verlassen? Sollte es dazu kommen, dann ist die verbleibende Zeit immer noch begrenzt und je nach Größe Ihres Produktportfolios, je nach Risikoklasse wird es eng. Die Erfahrung unserer MDR-Kolleg*innen hat gezeigt, dass durch die Fristverlängerung keine Entspannung eingetreten ist.
  • Laut Aussage der benannten Stellen dauert die Prüfung der technischen Dokumentation sechs bis zwölf Monate. Sind Sie bereit?
  • Und auch wenn wir uns wiederholen: Um in den nächsten zwölf Monaten 34.000 „Sonstige IVDs“ zu zertifizieren, sind vier benannte Stellen entschieden zu wenig. Wenn Sie dort nicht früh einreichen und Ihre Unterlagen zudem fehlerhaft oder missverständlich sind, können Sie sich wenig Hoffnung auf Zertifikate machen – auch das wissen wir aus MDR-Erfahrung.

Engpässe: Die Situation ist demnach geprägt von Engpässen. Ob interne Engpässe wie Personal, Zeit und Knowhow oder externe Engpässe wie zu wenige benannte Stellen (vier aktuell unter der IVDR vs. 21 unter der IVDD), fehlende Laborkapazitäten oder Probenmaterial, fehlende Guidance Dokumente (z. B. MDCG Guidance für Performance Evaluation oder PMPF) oder harmonisierte Standards. Das denkbar Schlechteste, was Sie jetzt tun können: den Kopf in den Sand stecken und auf bessere Zeiten hoffen. Krempeln Sie stattdessen die Ärmel hoch, packen Sie es an und suchen Sie sich bei Bedarf Unterstützung!

Was gilt es zu tun? Fangen Sie bei null an oder sind Sie schon ein paar Schritte weiter? Stellen Sie ein IVDR-Team zusammen und klären sie die Verantwortlichkeiten und Prioritäten. Nehmen Sie Kontakt zu Ihrer benannten Stelle auf. Sollte diese keine Benennung unter der IVDR anstreben oder hatten Sie bis dato keine benannte Stelle, dann kontaktieren Sie so schnell als möglich eine der folgenden benannten Stellen: TÜV Süd, TÜV Rheinland, DEKRA, BSI Netherland – aber achten Sie dabei auf deren Geltungsbereich. Nicht jede BS verfügt über die gleiche Kompetenz. Haben Sie Produkte der Liste A oder B gemäß Anhang II der IVDD? Wenn ja, dann verlängern Sie die Zertifikate in Absprache mit Ihrer benannten Stelle (bis maximal 26. Mai 2024). Das verschafft Ihnen etwas mehr Zeit für die Überarbeitung der sonstigen Produkte.

Parallel sollte an den Anforderungen für die drei Säulen Technische Dokumentation – QM-System – Regulatorische Verantwortung gearbeitet werden:

Technische Dokumentation:

  • Formulieren Sie Ihren Intended Use so aus, dass die entsprechenden Anforderungen der Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen (IVDR, Anhang I) erfüllt sind.
  • Klassifizieren Sie Ihre Produkte nach den Regeln des Anhangs VIII der IVDR und des MDCG Guidance Dokuments 2020-16. Treffen mehrere Regeln zu, so fällt das Produkt in die höchste Risikoklasse. Sollten Sie eine niedrigere Klassifizierung anstreben wollen, resultiert hieraus eine neue Zweckbestimmung.
  • Gruppieren Sie Ihre Produkte für das Sampling der benannten Stellen, aber auch für die Bündelung Ihrer offenen Aktivitäten. Bedenken Sie: 15 Prozent aller B- und C-Produktgruppen/-kategorien werden in Zukunft während der Zertifikatdauer durch die BS geprüft.
  • Denken Sie auch an die Vergabe der Basis UDI-DIs. Diese benötigen Sie u. a. für Eudamed und die Konformitätsbescheinigung. Die Registrierung in EUDAMED (SRN) ist noch kein Muss, aber bereits möglich.
  • Prüfen Sie die technische Dokumentation Ihrer Produkte auf Vollständigkeit.
  • Leistungsbewertung: Fehlen Testungen für die analytische Leistung oder Stabilität, dann müssen Sie die Testungen durchführen. Dazu muss vermutlich eine gesonderte Produktion erfolgen, damit genügend Material vorhanden ist. Für fehlende Testungen müssen Testpläne und -reports erstellt werden. Liegen alle Daten vor, fließen diese in den APR ein.
  • Sind Ihre klinischen Leistungsdaten ausreichend? Können diese mit Hilfe von Literaturrecherche oder anderen, öffentlichen Daten untermauert werden? Fassen Sie diese Daten im CPR zusammen und denken Sie immer an die Formulierung von Schlussfolgerungen.
  • Kommen Sie zu dem Ergebnis, dass Sie eine klinische Leistungsstudie benötigen, dann halten Sie sich an die ISO 20916:2019.
  • Achtung: Bei der Beurteilung Ihrer Daten müssen Sie sicherstellen, dass diese aktuell sind. Gab es seit der Erhebung der Daten eine signifikante Produktänderung? Wenn ja, dann sind Ihre Daten wahrscheinlich nicht mehr valide.
  • Post-Market Surveillance (PMS), Post-Market Performance Follow-Up (PMPF), Risikomanagement und das Risiko-Nutzen-Verhältnis, sowie die Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen (Anhang I) sind weitere wichtige Aspekte, welche überarbeitet werden müssen.
  • Prüfen Sie Ihre Checkliste, damit Sie nichts vergessen.
  • Besprechen Sie mit Ihrer benannten Stelle die Struktur der TD.
  • Erstellen Sie eine Pilotakte.

Qualitätsmanagement-System:

  • Machen Sie auf jeden Fall eine Lückenanalyse Ihres QM-Systems.
  • Achtung: Die IVDR stellt Anforderungen an das QM-System, welche über die Anforderungen der ISO 13485 hinausgehen. Welche Prozesse müssen überarbeitet werden? Erstellen Sie einen Plan, priorisieren Sie (PMS, QSVs) und gewährleisten Sie, dass Ihr QM-Team die Arbeit sofort aufnehmen kann, um bestehende Prozesse zu überarbeiten und neue Dokumente zu erstellen.
  • Beheben Sie die Lücken vor dem Audit so gut es geht. Und sollte etwas nicht rechtzeitig finalisiert werden, stellen Sie sicher, dass Sie nachweisen können, dass Sie die Überarbeitung begonnen haben.

Regulatorische Verantwortung:

  • Klären Sie hier unbedingt alle relevanten Verantwortlichkeiten. Vergewissern Sie sich, ob Sie einen EU-Bevollmächtigten (EU Rep) benötigen, eine für die Einhaltung der Regulierungsvorschriften verantwortliche Person (PRRC).
  • Und last but not least: Verschaffen Sie sich einen Überblick über Ihre personellen Ressourcen. Wer hat Kapazitäten, welche Tätigkeiten zu übernehmen? Wer hat wo evtl. noch Schulungsbedarf? Sind entsprechende personelle Ressourcen mit den geforderten Voraussetzungen nach Artikel 11, bzw. 15 der IVDR vorhanden? Müssen Einstellungen vorgenommen werden und welche Anforderungen haben Sie an die Bewerber*innen? Oder wollen Sie bestimmte RA-Tätigkeiten für eine gewisse Zeit an einen Dienstleister auslagern? Stellen Sie ein, bilden Sie aus oder vergeben Sie an extern – aber kommen Sie auf jeden Fall ins Tun. Dann steht Ihrem Erfolg für die IVDR-Anpassung nichts im Wege.

Weitere Artikel zu regulatorischen Angelegenheiten finden Sie in unserem Themenkanal Regulatory Affairs.

* Die Autorin: Dunja Schildge-Reichmann ist Head of IVD bei der Metecon GmbH.

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