Homburg & Partner Stop den Flop: Kundenorientierte Produktentwicklung in der Medizintechnik in 3 Schritten
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Viele Produktentwicklungen floppen bei ihrer Markteinführung, obwohl sie zeitaufwändig dafür vorbereitet wurden. Oft liegt das daran, dass sie nicht optimal auf die Zielgruppe abgestimmt sind. Mit der PRE-Analyse lassen sich zahlreiche Probleme schon in der Entwicklungsphase vermeiden.

- PRE-Analyse erlaubt frühzeitige Bewertung über den Erfolg einer Neuentwicklung
- 5P-Framework bietet ganzheitliches Bild des Marktes
- Das eigene Produktkonzept sollte kritisch hinterfragt werden
Die Produktentwicklung in der Medizintechnik ist zeitaufwändig und mit hohen Kosten verbunden. Dementsprechend folgenreich ist es, wenn ein neues Produkt floppt. Dennoch liegt die Floprate für Neuentwicklungen über Industrien hinweg bei 70 Prozent. Der Grund: In vielen Unternehmen ist es immer noch üblich, ausschließlich auf Basis einiger unternehmensinterner Meinungen Entwicklungsentscheidungen zu treffen und keine externe Zielgruppe einzubeziehen.
Daraus folgt, dass die Produkte nicht optimal auf den eigentlichen Zielmarkt und die Kundenbedürfnisse zugeschnitten sind. Es werden nicht alle Kunden adressiert, wodurch Absatzpotenzial ungenutzt bleibt, die Margen schrumpfen und die potenzielle Zahlungsbereitschaft nicht voll abgeschöpft wird. Dabei gibt es simple Möglichkeiten, die Erfolgschancen für ein Produkt bereits in einer frühen Entwicklungsphase einzuschätzen und so den ganzen Entwicklungsprozess optimal auf die Kauf- und Zahlungsbereitschaft der Kunden auszurichten. Eine Methode ist die PRE-Analyse – sie ermöglicht, frühzeitig fundierte Go/No-Go-Entscheidungen für Produktkonzepte zu treffen, sie gezielt auf Marktbedürfnisse und Kaufbereitschaft hin zu entwickeln und so den Produkterfolg insgesamt klar zu steigern.
1. Profiling der Marktlandschaft
Um ein ganzheitliches Bild des Marktes zu erhalten, muss er aus verschiedenen Perspektiven begutachtet werden. Um diese Betrachtung erfolgreich zu gestalten, bietet sich das 5P-Framework an. Es enthält fünf Dimensionen: Process, Physician, Payors, Patients und Players. Um für jeden Punkt die nötigen Erkenntnisse zu sammeln, werden typischerweise die folgenden Quellen genutzt: Gespräche mit internen Experten, Sekundärrecherche (z.B. wissenschaftliche Literatur, Marktberichte, Webseiten von Unternehmen) und Gespräche mit externen Experten. Mindestens zwei Drittel der befragten Experten sollten in Ländern ansässig sein, die zum potenziellen Zielmarkt für das neue Produkt zählen. So wird sichergestellt, dass die Perspektive der Befragten mit dem Scope des Produkts übereinstimmt. Persönliche Vor-Ort-Gespräche am Arbeitsplatz des Befragten versprechen die besten Ergebnisse.
Analyse entlang des 5-P Frameworks
Process: Die Betrachtung des Process gibt Auskunft, welche Akteure beim Markteintritt des neuen Produkts wie adressiert werden müssen. Hierfür folgt man dem Patientenfluss (Diagnoseort, Therapieort, Überwachungsort) und dem Patientenlebenszyklus (Diagnosis, Treatment und Monitoring). Für jeden Teilschritt werden Pain Points, Bedürfnisse und Optimierungspotenziale aufgedeckt. So werden Erkenntnisse gewonnen, welche Kunden- oder Ärztesegmente am wichtigsten sind, wer über einen Kauf entscheidet und welche Länderspezifika existieren. In Japan spielen beispielsweise Neurochirurgen für die Behandlung von mentalen Krankheiten eine entscheidende Rolle, wohingegen diese in Europa durch Psychiater behandelt werden. Somit gibt der Process Auskunft, wen Sie, je nach Produkt, beim späteren Markteintritt adressieren müssen.
Physicians: Im Physicians-Teilschritt steht die Identifikation und Segmentierung von Ärztezielgruppen im Mittelpunkt. Eigenschaften wie Nutzungsbereitschaft, Kaufpotential, Innovationsbereitschaft oder digitale Affinität können in die Segmentierung einfließen. Oft werden Ärztegruppen nach drei Archetypen segmentiert : wissenschaftlich getriebene Experten, welche großen Wert auf die Produktgenauigkeit legen und weniger auf den Preis achten, Generalisten mit hohem Anspruch an das Produkt-Handling und kommerziell getriebene Optimierer. Neben der Einteilung in individuelle Segmente ist ein Verständnis über deren Größe und Entwicklung zentral. So kann der Anteil von traditionellen, digital nicht affinen Ärzten im niedergelassenen Bereich über die nächsten Jahre sinken, da diese oft aufgrund höheren Alters in den Ruhestand gehen.
Payors (Kostenträger): Mit Bezug auf Payors ist das Ziel der Analyse, ein Profil der Kostenträger und ein Verständnis des Geldflusses zu schaffen. Bei medizintechnischen Produkten werden Kosten oftmals nicht vom Arzt oder Patienten, sondern von Krankenkassen getragen. Diese haben eigene Anforderungen, die essenziell für die spätere Produkt- und Preisakzeptanz sind. Für den internationalen Vertrieb neuer Produkte ist es hilfreich, bei der Analyse länderspezifische Informationen zu sammeln und zwischen privaten und öffentlichen Kostenträgern zu unterscheiden. Durch ein Verständnis der regulatorischen Anforderungen an Ärzte und Krankenhäuser, des Erstattungssatzes der Krankenkassen, der durchschnittlichen Lebensdauer des Produktes und des Selbstkostenanteils des Krankenhauses oder Arztes kann der Preis für ein Medizintechnikprodukt abgeleitet werden.
Patients: Für Geräte, die direkt von Patienten genutzt werden, ist es sehr wichtig, Patienten auch direkt zu befragen. Beispielprodukte sind Blutzuckermessgeräte, Beatmungsgeräte in Privathaushalten sowie zahlreiche andere Lösungen aus den Point-of-Care und Digital Health-Bereichen. Ziel der Analyse in diesem Schritt ist die Ausarbeitung von Patientenkategorien und emotionaler Entscheidungsgrundlagen. Patienten stellen eine vergleichsweise neue Zielgruppe dar: Noch vor wenigen Jahren wurden Kaufentscheidungen meist durch den Arzt gefällt, jetzt rückt eine zunehmend autarke Patientenpopulation ihre eigenen Bedürfnisse an ein Medizintechnikprodukt in den Vordergrund. Zwei verwandte, oftmals vergessene Interessengruppen sind Patienten-Angehörige und Patienten-Organisationen. Indem Unternehmen nicht bloß Patienten, sondern auch diese beiden Gruppen in die Produktentwicklung einbeziehen, steigern sie die Marktakzeptanz der neuen Lösung maßgeblich.
Players: Ziel der Analyse in Bezug auf Players ist das Verständnis der Konkurrenten am Markt sein. Das beinhaltet auch die Marktregionen und Segmente, die von ihnen bearbeitet werden. So werden White Spots auf dem Markt identifiziert – Bereiche, die großes Potential für einen Markteintritt aufweisen. In diesem Schritt ist eine Darstellung der Konkurrenzprodukte in einer Matrix (z.B. mit den Dimensionen „Zielkundentypen“ und „Kundenbedürfniserfüllung“) hilfreich. Indem Kosten der Konkurrenzprodukte und deren Marketingstrategie betrachtet werden, können Best-Practices für das eigene Neuprodukt abgeleitet werden.
2. Requirements & Kundenbedürfnisse
Nach der Profilierung des Marktes ist der nächste Schritt, das gewonnene Marktverständnis in konkrete Kundenbedürfnisse und Produktanforderungen zu übersetzen. So wird das eigene Produktkonzept kritisch hinterfragt.
Kaufbereitschaft: Kaufbereitschaft entsteht, wenn die Merkmale des neuen Produkts den Anforderungen und unerfüllten Bedürfnissen der Kunden gerecht werden. Um diese Merkmale zu identifizieren, müssen alle relevanten Interessensgruppen (z.B. Marktexperten, Ärzte, Kostenträger und Patienten) betrachtet werden. So werden Schwachstellen aktueller Produktlösungen und unerfüllte Bedürfnisse aufgedeckt. Wichtig ist hierbei, dass verschiedene Endnutzertypen unterschiedliche Produktanforderungen haben. Was für einen Kunden essenziell ist, ist für andere ein zweitrangiges Feature. Die Differenzierung von Produktmerkmalen in übergreifende Anforderungskategorien („Must-Haves“ und „Nice-to-Haves“) ermöglicht deren Priorisierung und die Ableitung einer entsprechenden Marktpositionierungsstrategie. Im Vordergrund steht meistens der medizinische Nutzen und Bedarf, der in Kombination mit der technischen Umsetzbarkeit das Zielproduktprofil definiert.
Zahlungsbereitschaft: Es ist immer eine große Herausforderung, den optimalen Preis für ein Produkt zu finden. Verschiedene Methoden helfen dabei: Zunächst eignen sich Expertengespräche, um eine erste Abschätzung der Zahlungsbereitschaft von Endnutzern zu erfahren. In Kombination mit Marktforschungsmethoden (z.B. Van-Westendorp-Preisanalyse oder Gabor-Granger-Methode) werden Ankerpreise bestimmt –Preise, die den Kundenerwartungen entsprechen. Kosten für ähnliche oder nahestehende Konkurrenzprodukte können hierbei zusätzliche Informationen bieten. Mithilfe dieser Methoden wird eine klare erste Schätzung der Zahlungsbereitschaft vorgenommen. Wichtig ist zu beachten, dass sich Zahlungsbereitschaften zwischen Ländern, Segmenten und Ärztegruppen unterscheiden. Neben der Zahlungsbereitschaft sind auch die Zahlungsmethoden wichtig für den finalen Preis. Je nach Produkttyp sind in der Medizintechnik verschiedene Modelle (z.B. Pay-Per-Result, Kauf, Razor & Razor Blades, Miete / Lease) etabliert. Für die Identifikation einer passenden Zahlungsmethode ist es wichtig zu beachten, dass sie Hersteller- und Kundenbedürfnisse in gleichen Maßen erfüllt.
Markteintrittsbarrieren: In der Medizintechnik ist der Markteintritt oftmals beschwerlich – es herrschen weithin Konkurrenz- (z.B. lokale Dominanz von einem etablierten Anbieter) und Preisdruck (z.B. günstigere Produkte von chinesischen Anbietern). Doch auch zusätzliche externe und interne Hürden erschweren den Markteintritt. Externe Hürden können strenge Vorschriften für neue Produkte (z.B. FDA-Vorschriften), geringe Erstattungssätze oder etablierte Techniken sein. Interne Hürden sind zumeist starre etablierte Arbeitsprozesse, vorherrschende Infrastrukturen und Kunden-Hemmnisse, neue Produkte zu akzeptieren. Zur Umschiffung dieser Eintrittsbarrieren ist es zentral, die Vorteile der eigenen Lösung nicht nur zu kennen, sondern auch gegenüber anderen Akteuren überzeugend darzustellen. Hierfür schafft die PRE-Analyse die nötige Wissensbasis.
3. Evaluation des Produktpotentials
Schließlich vervollständigt die Bewertung des Produktpotenzials und dessen Erfolgswahrscheinlichkeit die PRE-Analyse. Dieser Schritt gewährleistet eine sichere und fundierte Entscheidungsfindung und beleuchtet verschiedene Szenarien von Best-/ Medium-/ Worst-Cases.
Quantitative Schätzung: Eine Marktpotenzialschätzung ist essenziell, um Umsatz- und Rentabilitätserwartungen zu bestimmen. Dazu wird ein erster Business Case gerechnet und erwartete Aufwendungen mit einbezogen. Zur Berechnung werden die zuvor ermittelten Preisobergrenzen und Preisuntergrenzen sowie die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft für das jeweilige Produkt verwendet. Ergänzt werden diese Informationen durch Marktzahlen aus der Sekundärforschung (z.B. Anzahl der Kunden pro Kundensegment, Gebrauchtgeräte) und eine quantitative Prognose, die aktuelle und prognostizierte zukünftige Trends zur Abschätzung der Marktentwicklung beinhaltet. Die vorhergehenden beiden Schritte der PRE-Analyse sorgen dafür, dass die benötigten Informationen leicht zugänglich sind. Es bietet sich an, die Ergebnisse im Dialog mit Marktexperten zusätzlich zu validieren.
Qualitative Bewertung: Die qualitative Bewertung integriert alle Erkenntnisse über das potenzielle Produkt für eine Go- oder No-Go-Empfehlung der Produktentwicklung und des Markteintritts. Dabei werden Go-to-Market-Erfolgsfaktoren und kommerzielle Eckpfeiler betrachtet. Infolgedessen werden ein Zielprofil und eine Launch-Strategie abgeleitet. Dazu werden verschiedene Scoring-Modelle eingesetzt: Modelle, die sowohl länderspezifische Effekte (z.B. Markthebel) als auch Chancen und Risiken (z.B. lokale Regulierungen, Wettbewerbsstärke) mit Bewertungen der Stärken und Schwächen des Unternehmens (z.B. schnelle Forschungs- und Entwicklungsfähigkeit, vorhandene Technologieerfahrung) kombinieren.
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* Die Autoren Dr. Michael Marquardt, Dr. Jannick Theobald und Dr. Michael Scholl sind in den Bereichen Healthcare, Medizintechnik und Diagnostik bei Homburg & Partner tätig.
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