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Formatec Ceramics Keramik: Eine eigene Welt mit faszinierenden Möglichkeiten

Autor / Redakteur: Klaus Vollrath / Peter Reinhardt

Stahl ist die Muttersprache des Konstrukteurs, heißt es. Während sich diese also bei Metallen – und zunehmend auch bei Polymeren – auf sicherem Terrain bewegen, ist dies bei Keramik noch eher selten der Fall. Bei vielen Entwicklungsprojekten kommt es daher zu notfallähnlichen Situationen. Ein Gespräch mit einem Keramik-Spezialisten, der schon so manchem Konstrukteur weiterhelfen konnte.

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Spritzgegossener „Grünling“ und fertig gesintertes Kieferimplantat aus - Zirkoniumoxid. Das Teil besticht durch seine präzise konturierte Außenstruktur, die das Einwachsen in den Knochen begünstigt
Spritzgegossener „Grünling“ und fertig gesintertes Kieferimplantat aus - Zirkoniumoxid. Das Teil besticht durch seine präzise konturierte Außenstruktur, die das Einwachsen in den Knochen begünstigt
(Bild: Klaus Vollrath)
  • Entwicklungspartner für Hochleistungs-Sinterkeramik
  • Geringe Dichte, hohe Temperaturbeständigkeit und Härte
  • Medizintechnik ist wichtiges Anwendungsgebiet für Sinterkeramik-Komponenten

„Wir sind oft genug Anlaufstelle für Konstruktionsabteilungen aus allen möglichen Branchen, die bei ihren Entwicklungsprojekten wegen Problemen mit konventionellen Werkstoffen nicht mehr weiter wissen“, berichtet Harrie Sneijers, Vertriebsleiter bei Formatec Ceramics im niederländischen Goirle. Das rühre daher, dass Sinterkeramiken völlig andere Eigenschaftsspektren aufweisen und einen gänzlich anderen Herstellprozess durchlaufen als Metalle. Viele Konstrukteure, die an Metalle oder auch Kunststoffe gewöhnt sind, begegnen damit einer neuen, völlig unvertrauten Welt. Das beginnt schon damit, dass sich Keramik nicht plastisch verformt, sondern unter falsch gewählten Einsatzbedingungen plötzlich spröde brechen kann. Auch ist für viele Konstrukteure ungewohnt, dass beim Herstellprozess Maßänderungen von 20 bis 30 Prozent zu berücksichtigen sind und dass sich größere Wanddicken oder Wanddickenänderungen nachteilig auf die Produkte auswirken können. Dieser Mangel an Erfahrung führe oft zu Rückschlägen beim Entwicklungsprozess.

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„Die Folgen können dramatisch sein, wenn Zeit- und Kostenbudgets überschritten werden und Projekte dadurch in Schieflage geraten“, berichtet Sneijers aus der Praxis. Mit solchen Fällen haben er und seine Kollegen so häufig zu tun, dass sie sich fast an die Notaufnahme eines Krankenhauses erinnert fühlen. Zur Lösung unterschiedlichster Aufgabenstellungen sind sie gut gerüstet.

Formatec verfügt über eine ganze Palette von Verfahren zur Herstellung von Sinterkeramik-Bauteilen, zum Beispiel Keramik-Spritzgießen (Ceramic Injection Moulding, CIM), 3D-Druck und die mechanische Bearbeitung von Presslingen, und bietet hierzu eine Reihe von Werkstoffen wie Zirkonoxid (ZrO2), Aluminiumoxid (Al2O3) und Siliciumnitrid an. Hinzu kommen Materialien mit speziellen Eigenschaften wie ESD (keine statische Aufladung) oder das Mischoxid ATZ (Al2O3 + ZrO2), das sich durch besonders hohe Biegefestigkeit bei gleichzeitiger Biokompatibilität auszeichnet, sodass es beispielsweise für Zahnimplantate verwendet wird. Bei der Entwicklung neuer Lösungen arbeitet Formatec eng mit den Kunden zusammen.

Vorteile sinterkeramischer Bauteile

„Im Vergleich mit Metallen oder Kunststoffen zeichnen sich Keramiken vor allem durch geringe Dichte sowie hohe Temperaturbeständigkeit und Härte aus“, benennt Sneijers drei wesentliche Materialvorteile. Hinzu kommen Korrosions- und Verschleißbeständigkeit, niedrige thermische Ausdehnungskoeffizienten, zumeist gute thermische und elektrische Isolation sowie Unempfindlichkeit gegenüber den meisten Lösungsmitteln und Chemikalien. Die Temperaturbeständigkeit von Siliciumnitrid (Si3N4 + Zusätze) liegt bei 1.200 °C, Al2O3-Keramiken und ATZ widerstehen sogar 1.600 ° aus. Dabei behalten sie ihre gute mechanische Festigkeit bis zu Temperaturen, bei denen sich die meisten Metalle bereits unter ihrem eigenen Gewicht verformen.

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Eigenschaften wichtiger Keramiken
  • Aluminiumoxid Al2O3 wirkt als elektrischer Isolator, ist beständig gegen viele Säuren und Laugen und weist hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber Korrosion, Verschleiß und Erosion auf. Hervorzuheben ist seine hohe elektrische Durchschlagfestigkeit auch bei hohen Temperaturen bis 1.600 °C.
  • Zirkoniumoxid ZrO2 zeichnet sich durch Temperaturbeständigkeit bis 600 °C, gute Dehnungseigenschaften sowie Beständigkeit gegen Verschleiß und Korrosion aus. Darüber hinaus weist es eine gute Wärmedämmung auf und Gleiteigenschaften.
  • Siliziumnitrid Si3N4 dank niedriger Wärmeausdehnung und kleinem E-Modul eignet sich Si3N4-Keramik besonders für thermoschockbeanspruchte Bauteile für Einsatztemperaturen bis etwa 1.200 °C.
  • ATZ ist ein mit 10 bis 20 Prozent Aluminiumoxid verstärktes Zirconiumoxid. Diese Mischung verhält sich nochmals vorteilhafter als beide Materialen für sich, beispielsweise bezüglich Härte und Biegefestigkeit.

Beeindruckend sind auch die Steigerungen der Biegefestigkeit: Während diese für Aluminiumoxid-Porzellan im Jahre 1950 bei lediglich 150 MPa lag, erreichen ATZ-Werkstoffe heute 2.000 MPa. Weiterer Vorteil praktisch aller keramischen Werkstoffe ist ihre sehr hohe Härte von ca. 1.350 HV bei ZrO2 bis zu 2.000 HV bei Al2O3. Durch Zusätze können fallweise spezielle Eigenschaften wie antistatisches Verhalten, elektrische Leitfähigkeit oder bunte Farben eingestellt werden. Formatec arbeitet zwar bevorzugt mit marktüblichen Standardzusammensetzungen, entwickelt aber bei Bedarf auch Sonderwerkstoffe bis hin zu exotischen Materialien, zum Beispiel für nuklearmedizinische Anwendungen.

Vielfältige Anwendungen in der Medizintechnik

„Die Medizintechnik ist ein sehr wichtiges Anwendungsgebiet für Sinterkeramiken-Komponenten“, nennt Sneijers ein Anwendungsfeld. Grund hierfür ist vor allem deren hervorragende Biokompatibilität. Deshalb gäben Mediziner Sinterkeramik oft den Vorzug vor Metallen, unter anderem bei Implantaten, die dauerhaft im Körper verbleiben sollen. Beispiele hierfür sind Gelenkprothesen wie Hüftpfannen oder Kniegelenke. Durch den Einsatz von Keramik statt Metall wird hierbei das Risiko unerwünschter Reaktionen verringert.

Ein weiteres interessantes Einsatzgebiet sind Zahnimplantate. Bisher wurden Kieferimplantate aus ATZ häufig aus gepressten Rohlingen gefräst. Das CIM-Spritzgießen ermöglicht hier Kostensenkungen um bis zu 75 Prozent. Zudem erhält die Außenkontur der Einsätze dank der Möglichkeiten des Spritzgießverfahrens eine spezielle Feinstruktur, welche das schnelle und sichere Einwachsen in den Knochen besonders fördert.

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* Der Autor Klaus Vollrath ist freier Fachjournalist. Er lebt und arbeitet in Aarwangen in der Schweiz.

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