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Aktuelle Lage der Branche Die Medizintechnik – eine Branche im Aufbruch?

Autor Kathrin Schäfer |

Wie steht es aktuell um die Medizintechnikindustrie? Welche Weichen wurden 2018 gestellt? Welche Herausforderungen stehen 2019 an? Eine Analyse nebst Ausblick.

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Was bringt das Jahr 2019 für die Medizintechnik? Sicher ist: Das Zukunftsthema Digitalisierung nimmt richtig Fahrt auf. Dabei stark im Kommen: Augmented Reality.
Was bringt das Jahr 2019 für die Medizintechnik? Sicher ist: Das Zukunftsthema Digitalisierung nimmt richtig Fahrt auf. Dabei stark im Kommen: Augmented Reality.
(Bild: © Gorodenkoff Productions OU – stock.adobe.com)
  • Deutsche Medizintechnikbranche knackt 2018 erstmals die 30-Milliarden-Euro-Umsatzgrenze
  • Praktische Umsetzung der EU-Medizinprodukteverordnung MDR
  • Digitalisierung: ein Schwerpunktthema für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn
  • 3D-Druck, Künstliche Intelligenz und mehr

Schauen wir noch einmal zurück: 2018 beginnt alles andere als langweilig: Aesculap wird seit dem Weggang von Aesculap-Chef Hanns-Peter Knaebel von Dr. Joachim Schulz geleitet. Der kann im ersten Quartal 2018 einen Umsatz von 1.796 Mio. Euro für das Geschäftsjahr 2017 präsentieren – ein Wachstum von 3,6 Prozent. Positiv fällt auch die Bilanz der Konzernmutter B. Braun Melsungen aus: Sie schließt das Geschäftsjahr 2017 mit 6.789 Mio. Euro Gesamtumsatz ab – gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg um 4,9 Prozent.

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Ob die Zahlen für das Geschäftsjahr 2018 ebenso positiv ausfallen, bleibt abzuwarten. Doch die Zeichen stehen gut: Denn laut Spectaris durchbricht die deutsche Medizintechnikbranche 2018 erstmals die 30-Milliarden-Euro-Umsatzgrenze. Der Verband geht von vier bis fünf Prozent Umsatzplus für die gesamte Branche aus. Dazu Spectaris-Geschäftsführer Jörg Mayer: „Wir rechnen mit einem Gesamtumsatz von rund 31 Mrd. Euro.“ Positiv soll es auch weitergehen: Für das aktuelle Jahr 2019 prognostiziert Spectaris ein weiteres Umsatzplus von etwa 4 Prozent und damit einen Umsatz von mehr als 32 Mrd. Euro.

Dies ist umso erstaunlicher, als die europäische Medizinprodukteverordnung Medical Device Regulation, kurz MDR, einen Großteil der Branche vor immense Herausforderungen stellt. Spectaris geht davon aus, die MDR gefährde Innovationen, weiteres Wachstum und die Verfügbarkeit von Medizinprodukten. Viele Fragen zur praktischen Umsetzung der Verordnung seien noch offen. Der Bundesverband Medizintechnologie (BV-Med) hat den europäischen Gesetzgeber sogar aufgefordert, „aufgrund der aktuellen Nicht-Umsetzbarkeit der EU-Medizinprodukte-Verordnung zu handeln und pragmatische Lösungen zu entwickeln.“ Der Verband setzt sich für eine Anpassung des Geltungsbeginns ein, „bis die Voraussetzungen zur Umsetzung der MDR vorliegen“, sagt der BV-Med-Vorstandsvorsitzende Dr. Meinrad Lugan, der zugleich Mitglied im Vorstand des Konzerns B. Braun ist. Als zentrales Problem identifizieren der BV-Med oder beispielsweise auch der Fachverband Elektromedizinische Technik im ZVEI Engpässe bei Benannten Stellen – eine Situation, die durch den Brexit noch einmal verschärft werden könnte, denn dann würden die Benannten Stellen in Großbritannien für europäische Unternehmen wegfallen.

Die MDR wirft ihre Schatten voraus

Klar ist: Während Großkonzerne wie Siemens Healthineers, B. Braun oder Ottobock ganze Abteilungen unterhalten, die sich dieser regulatorischen Veränderungen annehmen können, stehen die laut Zählung von Spectaris rund 12.300 Klein- und Kleinstbetriebe der deutschen Medizintechnik 2019 in Sachen MDR vor enormen Herausforderungen. Die Warnungen nicht nur von Spectaris und BV-Med, sondern beispielsweise auch des ZVEI, haben das Jahr 2018 bereits stark geprägt. 2019 werden sie schätzungsweise noch um einiges lauter ertönen. Denn jetzt ist die erste Hälfte der regulären MDR-Umstellungszeit um. Die Übergangsfrist endet am 26. Mai 2020. Für Medizintechnikunternehmen bedeutet dies: Spätestens jetzt sollten sie das Thema in Angriff nehmen.

Die erwähnte Vielzahl kleiner und mittelständisch geprägter Unternehmen bringt es mit sich, dass die Branche gerne auf das schaut, was die wenigen Großen umtreibt und leisten. Aesculap, Siemens, aber auch Ottobock gelten denn auch gerne als Vorreiter für (technische) Trends. So könnte 2019 für Ottobock das Jahr des Börsengangs sein. 2018 jedenfalls ist das Jahr, in dem die Healthcare-Sparte von Siemens den Börsengang wagt. Bevor es so weit ist, nehmen die langwierigen Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene endlich ein Ende. Der neue Bundesminister für Gesundheit heißt Jens Spahn. Er wird am 14. März 2018 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier offiziell ernannt. Die Amtsübergabe nutzt Spahn, um seine gesundheitspolitische Agenda anzureißen: Er möchte unter anderem das für die Medizintechnik so wichtige Thema Digitalisierung in Angriff nehmen. Zwei Tage später, am 16. März 2018, schaut die Medizintechnikbranche gespannt nach Frankfurt: Mit 4,365 Mrd. Euro startet Siemens Healthineers wie geplant noch vor Ostern an der Frankfurter Börse. Der Börsengang gilt als der zweitgrößte nach dem der Deutschen Telekom im Jahr 1996. Zwar bleibt die Kapitalsumme hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück, doch der erste offizielle Kurs liegt mit 29,10 Euro über dem finalen Platzierungspreis. Im Januar 2019 liegt er bei gut 35 Euro.

Geht Ottobock 2019 an die Börse?

Wie steht es nun um den Börsengang von Ottobock? Der Orthopädiespezialist hat 2018 zahlreiche personelle Änderungen vollzogen. Dr. Oliver Scheel stand seit 15. Januar 2018 als CEO an der Spitze des Orthopädiespezialisten und holte im Sommer 2018 Philipp Schulte-Noelle an Bord. Der neue CFO soll das Familienunternehmen börsenreif machen. Die Amtszeit von Scheel währt allerdings nicht lange: Er verlässt Ottobock. Seit November 2018 nimmt Schulte-Noelle interimistisch die CEO-Rolle ein. Im Januar 2019 wird er schließlich vom Verwaltungsrat zum neuen CEO berufen.

Ohne personelle Veränderungen geht es auch nicht bei Aesculap. Anfang Juli 2018 endet in Tuttlingen eine Ära. Nach mehr als 42 Jahren als Mitglied des Aufsichtsrats hat sich Prof. Ludwig Georg Braun nicht mehr zur Wiederwahl gestellt. An seine Stelle ist Prof. Dr. Heinz-Walter Große, Vorstandsvorsitzender des Mutterkonzerns B. Braun Melsungen AG, als Vorsitzender des Aufsichtsrats getreten. Mit Dr. Katrin Sternberg beruft Aesculap erstmals eine Frau in den Vorstand. Sie soll im Konzern nicht die einzige Frau auf Führungsebene bleiben: Im April 2019 folgt Anna Maria Braun auf Heinz-Walter Große als Vorsitzende des Vorstands der B. Braun Melsungen AG. Und auch die Hartmann-Gruppe wird seit 1. Januar 2019 von einem weiblichen CEO geführt. Ihr Name ist Britta Fünfstück.

Auf technologischer Ebene treibt Aesculap bereits seit Längerem das Thema Digitalisierung voran. Und auch Ottobock greift 2018 neue Trends und Zukunftsthemen auf: Chief Digital Officer Sarik Weber nimmt sich der Digitalisierung an. Und mit dem Start-up Plus Medica OT übernimmt Ottobock die Mehrheitsanteile an einem Spezialisten für 3D-Druck. Neben den technologischen Aspekten klingen hier auch die politischen und wirtschaftlichen Trends und Schwerpunktthemen für 2019 an. So sehen die acht Verbände Bio Deutschland, Bitkom, der Bundesverband Gesundheits-IT, der BV-Med, Spectaris, VDGH, VFA und ZVEI 2019 als Jahr der Weichenstellung für den E-Health-Standort Deutschland. Sie fordern: „Deutschland soll zum Vorreiter bei der digitalen Gesundheit werden.“ Dazu Gesundheitsminister Spahn: „Ohne Digitalisierung und mit zu restriktivem Datenschutz bleibt unser Gesundheitssystem hinter seinen Möglichkeiten zurück. Deswegen treibe ich die Digitalisierung voran, bei der elektronischen Patientenakte, den mobilen Zugängen und beim E-Rezept.“ Sein Anspruch: „Wir wollen den digitalen Wandel selbst gestalten und nicht zusehen, wie andere es tun.“

Dazu jedoch braucht es in Deutschland eine E- Health-Strategie. Hierauf verweist Hans-Peter Bursig, Geschäftsführer des Fachverbands Elektromedizinische Technik im Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie ZVEI. Er fordert: „Deutschland braucht ein E-Health-Zielbild.“ Zuspruch erhält er von Dr. Thilo Kaltenbach, Senior Partner bei Roland Berger. Kaltenbach stellt zur Medica 2018 in Düsseldorf die Studie „Gesundheit 4.0“ zur Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft vor. Vor diesem Hintergrund fordert er die Politik auf, „aktiv in eine E-Health-Strategie für Deutschland einzusteigen“. Hierfür brauche es jedoch eine zentrale Stelle, die beispielsweise die elektronische Patientenakte voranbringt und datenrechtliche Standards setzt.

Bleiben wir einen Moment in Düsseldorf. Mit 5.200 Firmen war die Anzahl der Aussteller auf der Medica 2018 so hoch wie nie zuvor. Und auch die Compamed konnte rund 800 ausstellende Unternehmen verzeichnen. „So viele hatten wir noch nie“, freut sich Horst Giesen, Global Portfolio Director Healthcare & Medical Technologies, auf der Vorpressekonferenz zur weltgrößten Medizinmesse sowie ihrer Zuliefermesse.

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Während sich das Messeduo also 2018 einmal mehr als Leitmesse behauptet, ist die Messesituation in Süddeutschland weiter unklar: Am 11. April 2018 kündigen die Messeveranstalter UBM und Messe Nürnberg eine Kooperation an, mit der die beiden konkurrierenden Messen MT-Connect und Medtec Europe 2019 zu einer neuen Fachmesse verschmelzen: der Medtec Live. Die Landesmesse Stuttgart, bisher Ausrichtungsort der Gastveranstaltung Medtec Europe, reagiert auf deren Weggang mit der Ankündigung einer eigenen Fachmesse. So findet Anfang Mai 2019 in Stuttgart erstmals die T4M – Technology for Medical Devices statt. Nur wenige Tage später wird die Medtec Live in Nürnberg Premiere feiern. Klar ist: Zwei Branchenmessen im süddeutschen Raum sind für die stark mittelständisch geprägte Medizintechnikbranche eine zu viel. Ob 2019 bereits eine Entscheidung bringt? Langfristig wird sich wohl nur eine der beiden in der Messelandschaft behaupten.

Digitalisierung ist mehr als ein Hype

Doch das ist noch Zukunftsmusik. Im November 2018 jedenfalls sieht Messechef Giesen „die Medizintechnikbranche trotz Investitionsstau und Sparzwängen in Aufbruchstimmung“. Giesens Ausführungen zu den inhaltlichen Schwerpunkten der Medica/Compamed machen deutlich, dass die Digitalisierung zum Jahresende 2018 nicht nur ein Hype, sondern tatsächlich auch das zentrale Thema der Industrie ist. „Zwar ist die digitale Transformation auf der Messe nicht neu, doch jetzt nimmt sie so richtig an Fahrt auf“, so seine Einschätzung. Als zweites Schwerpunktthema nennt er „Dematerialisierung“, ein Begriff, der erklärungsbedürftig ist. Gemeint ist, dass Medizingeräte immer kleiner, leiser, schneller und einfacher zu bedienen werden. „Dies gilt auch für die in den Geräten verbauten Komponenten, wie beispielsweise Sensoren“, weiß Dr. Thomas Dietrich, Geschäftsführer des IVAM Fachverbands für Mikrotechnik. Der BV-Med führt diesen Trend zum Jahreswechsel unter dem etwas gängigeren Begriff Miniaturisierung. Laut Verband „stehen wir erst am Beginn einer medizintechnischen Revolution“. Zu ihren Treibern zählt er neben besagter Miniaturisierung auch die Molekularisierung im Bereich Biotechnologie, Big-Data-Anwendungen, E-Health, Telemedizin und Telemonitoring sowie die Nutzung Künstlicher Intelligenz.

Den größten Einfluss auf den medizintechnischen Fortschritt schreibt der BV-Med jedoch der Digitalisierung zu. Auch für Spectaris-Geschäftsführer Jörg Mayer stellt diese nicht weniger als „das Zugpferd für die Medizintechnik – und damit für die gesamte Gesundheitswirtschaft“ dar. Laut der bereits erwähnten Studie Gesundheitswirtschaft 4.0 werden Medizintechnikunternehmen bereits im Jahr 2028 ein Drittel ihrer Umsätze mit digitalen Produkten erwirtschaften. Mayers Ratschlag für die gesamte Branche darf deshalb als ideales Credo beziehungsweise als Leitmotiv für 2019 gelten. Er sagt: „Damit diese Vision Realität wird, muss Digitalisierung in Medizintechnikunternehmen Chefsache werden.“

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