Grundlagenwissen Was sind Medizinprodukte? Definition, Medical Device Regulation, Zulassung
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Was unterscheidet Medizinprodukte von Arzneimitteln? Wann darf man ein Medizinprodukt in Verkehr bringen? Und welche Rolle spielen in Europa benannte Stellen und in den USA die FDA?

Pflaster, Katheter, Stents, Implantate oder Knochenschrauben – laut Bundesverband Medizintechnologie soll es zirka 400.000 verschiedene Medizinprodukte geben. Was sie gemeinsam haben: Sie alle dienen einer medizinischen Zweckbestimmung. Es sind Produkte, die vom Inverkehrbringer zur Wirkung am Menschen und damit, grob gesagt, per Definition zur Prävention, Diagnose oder Heilung von Krankheiten bestimmt sind. Auch In-vitro-Diagnostika wie Reagenzien sind Medizinprodukte. Und – was viele nicht wissen: Auch bei Software handelt es sich unter Umständen um ein Medizinprodukt. Relevant ist dies beispielsweise im Kontext von Gesundheits-Apps, den Mobile Medical Applications.
Arzneimittel versus Medizinprodukte
Was Medizinprodukte ausmacht, wird besonders deutlich, wenn man sie Arzneimitteln gegenüberstellt: Von Arzneimitteln unterscheiden sich Medizinprodukte dadurch, dass sie physikalisch wirken, also nicht pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch. Dennoch können Medizinprodukte mit Stoffen bzw. Arzneimitteln beschichtet sein. Bestes Beispiel hierfür sind Implantate, die mit Antibiotika beschichtet sind, um das Risiko von Entzündungen gering zu halten. Die Unterscheidung zwischen Medizinprodukt und Arzneimittel ist übrigens in vielfacher Hinsicht entscheidend: Juristisch unterliegen Medizinprodukte der Medical Device Regulation (MDR, Europäische Verordnung für Medizinprodukte); Arzneimittel hingegen unterliegen dem Arzneimittelrecht. Dies wird sich nicht nur auf den Marktzugang, sondern auch auf die Verkehrsfähigkeit aus.
Wie der Begriff Medizinprodukt juristisch definiert wird, verrät Art. 2 Nr. 1 MDR:
„Medizinprodukt“ bezeichnet ein Instrument, einen Apparat, ein Gerät, eine Software, ein Implantat, ein Reagenz, ein Material oder einen anderen Gegenstand, das dem Hersteller zufolge für Menschen bestimmt ist und allein oder in Kombination einen oder mehrere der folgenden spezifischen medizinischen Zwecke erfüllen soll:
- Diagnose, Verhütung, Überwachung, Vorhersage, Prognose, Behandlung oder Linderung von Krankheiten,
- Diagnose, Überwachung, Behandlung, Linderung von oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen,
- Untersuchung, Ersatz oder Veränderung der Anatomie oder eines physiologischen oder pathologischen Vorgangs oder Zustands,
- Gewinnung von Informationen durch die In-vitro-Untersuchung von aus dem menschlichen Körper – auch aus Organ-, Blut- und Gewebespenden – stammenden Proben
und dessen bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, dessen Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.
Die folgenden Produkte gelten ebenfalls als Medizinprodukte:
- Produkte zur Empfängnisverhütung oder -förderung,
- Produkte, die speziell für die Reinigung, Desinfektion oder Sterilisation der in Artikel 1 Absatz 4 genannten Produkte und der in Absatz 1 dieses Spiegelstrichs genannten Produkte bestimmt sind.
Was ändert sich mit der MDR? Diese Video aus der Reihe „TÜV Süd essentials“ gibt Ihnen Auskunft!
Seit 2021 ist die Medical Device Regulation verpflichtend
Die zuvor geltenden europäischen Richtlinien wurden vor 2021 durch das MPG in nationales Recht umgesetzt. Die neue EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) greift direkt – denn es handelt sich eben nicht um eine Richtlinie, sondern um eine Verordnung.
Die Medical Device Regulation (MDR, Europäische Verordnung für Medizinprodukte) trat gemeinsam mit der Verordnung für In-vitro-Diagnostika (IVDR) am 25. Mai 2017 offiziell in Kraft. Die MDR ist nach einer vierjährigen Übergangszeit seit dem 26. Mai 2021 verpflichtend anzuwenden. Die IVDR seit dem 26. Mai 2022.
Das Medizinprodukte-Durchführungsgesetz (MPDG) ergänzt MDR und IVDR um nationale Vorgaben.
Am 20. März 2023 wurde im Amtsblatt der Europäischen Union die Änderung der MDR veröffentlicht. Diese besagt:
- Die bisher in der Medizinprodukteverordnung Art. 120(4) und der Verordnung über In-vitro-Diagnostika (IVDR) Art. 110(4) festgelegte Verkaufsfrist für bestehende Produkte wurde abgeschafft.
- Für Medizinprodukte mit einem Zertifikat oder einer Konformitätserklärung, die vor dem 26. Mai 2021 ausgestellt wurden, wird die Übergangsfrist wie folgt verlängert:
-Für maßgefertigte implantierbare Produkte der Klasse III: bis zum 26. Mai 2026.
-Für Produkte mit höherem Risiko: bis 31. Dezember 2027. Dazu zählen Produkte der Klasse III und implantierbare Produkte der Klasse IIb, ausgenommen Nahtmaterial, Klammern, Zahnfüllungen, Zahnspangen, Zahnkronen, Schrauben, Keile, Platten, Drähte, Stifte, Clips und Verbindungsstücke.
-Für Produkte mit mittlerem und geringerem Risiko: bis zum 31. Dezember 2028. Dazu zählen andere Produkte der Klasse IIb, Produkte der Klasse IIa und Produkte der Klassen ls, lm, lr.
Dies ist jedoch kein Grund, Dinge hinten anzustellen. Grund hierfür: Um Medizinprodukte auf den Markt beziehungsweise in Verkehr zu bringen, brauchen sie eine CE-Kennzeichnung. Voraussetzung für die CE-Kennzeichnung ist jedoch, dass das Medizinprodukt einem Risikomanagementverfahren, einer klinischen Bewertung sowie einer Risiko-Nutzen-Analyse unterzogen wurde. Es muss also der Nachweis erbracht werden, dass grundlegende Leistungs- sowie Sicherheitsanforderungen eingehalten werden. Nicht erst seit dem Skandal um fehlerhafte Brustimplantate des französischen Herstellers PIP, der die Entstehung der neuen EU-Medizinprodukteverordnung angestoßen hat, ist die Sicherheit von Anwendern und Patienten oberstes Gebot.
Aufreger-Video: Der PIP-Skandal sorgte seit 2010 für Aufsehen und Entsetzen. Dokumentationen wie „Medizinprodukte – Schrott im Körper“ brachten der Medizintechnikbranche Negativschlagzeilen.
Medizinprodukte-Klassifizierung – welche Klassen gibt es?
Mit dem so genannten Konformitätsbewertungsverfahren weisen Medizintechnik-Hersteller nach, dass ihre Medizinprodukte mit den „Grundlegenden Anforderungen“ übereinstimmen. In diesem Zusammenhang muss man wissen: Medizinprodukte werden in drei Risikoklassen unterteilt. Hierbei ist Klasse I die niedrigste, Klasse III die höchste Risikoklasse.
In welche Klasse ein Medizinprodukt gehört, hängt juristisch gesehen von der „Verletzlichkeit des menschlichen Körpers“ durch das Produkt ab. Im Wesentlichen geht es also darum, ob ein Produkt nur punktuell oder längerfristig, am oder im Körper, aktiv oder passiv angewandt und ob es beispielsweise wiederverwendet wird. So ist eine Gehhilfe naturgemäß weitaus weniger risikobehaftet als ein dauerhaft implantierter Herzschrittmacher. Letzterer gehört folglich in die Klasse III.
Lediglich bei Klasse-I-Produkten sind Hersteller dazu befugt, das Konformitätsbewertungsverfahren eigenverantwortlich durchzuführen. Für alle anderen Produkte müssen Medizintechnikhersteller eine benannte Stelle (Notified Body) in Anspruch nehmen.
Wichtig zu wissen: Mit Inkrafttreten der neuen EU-Medizinprodukteverordnung wurde die Klasse I ergänzt: Wiederverwendbare Medizinprodukte fallen jetzt in die neue Klasse Ir. Das „r“ steht für „reusable“, also wiederverwendbar. Unter dem Begriff subsumiert werden wiederverwendbare chirurgische Instrumente.
Auch wenn es sich um Produkte mit geringem Risiko handelt, braucht es für die Zertifizierung von Produkten der Klasse Ir jetzt die Mitarbeit von benannten Stellen.
Da in und um Tuttlingen besonders viele Medizinprodukte der Klasse Ir hergestellt werden, hat die Cluster-Initiative Medical Mountains einen Leitfaden dazu erstellt. Der Leitfaden führt Schritt für Schritt durch die Anforderungen. Hierzu gehören die Punkte:
- Erhöhte Anforderungen an das Qualitätsmanagement
- Die verpflichtende Zertifizierung durch eine benannte Stelle
- Die Bewertung der technischen Dokumentation
- Klinische Daten
- Marktbeobachtung
Der Leitfaden ordnet diese einzelnen Schritte, sodass sie in logischer Abfolge abgearbeitet werden können. Er kann bei Medical Mountains bestellt werden. Der Schritt-für-Schritt-Leitfaden zur Produktklasse Ir bringt damit Struktur ins MDR-Labyrinth.
Hier noch einmal eine Übersicht über die Medizinprodukte-Klassen:
- Medizinprodukte der Klasse I bergen keine methodischen Risiken und werden in der Regel nur vorübergehend am Patienten angewendet. Typische Beispiele sind u. a. Hilfsmittel wie Rollstühle und Gehhilfen.
- Medizinprodukte der Klasse I r sind wiederverwendbar. Das „r“ steht für das englische Wort „reusable“. Unter die Klasse fallen u. a. wiederverwendbare chirurgische Instrumente.
- Medizinprodukte der Klasse II a beinhalten ein gewisses Anwendungsrisiko und werden gegebenenfalls sogar kurzzeitig im Körper angewendet. Typische Beispiele sind u. a. Kontaktlinsen sowie Hörgeräte.
- Medizinprodukte der Klasse II b verfügen über ein erhöhtes methodisches Risiko und werden über einen langen Zeitraum angewendet. Zu Klasse II b gehören deshalb Beatmungsgeräte, Dialysegeräte, Dentalimplantate und – überraschenderweise auch Kondome.
- Medizinprodukte der Klasse III gehören der höchsten Risikostufe an. Ihr Gefahrenpotenzial ist erheblich, da sie beispielsweise direkt am Herz oder dem Kreislaufsystem wirken. Deutlich wird dies, wenn man sich vor Augen führt, dass es sich um Produkte wie Herzschrittmacher, Stents oder Hüftimplantate handelt.
In den USA gibt es die FDA, in Europa die benannten Stellen
Der Begriff „benannte Stellen“ ist nun schon mehrfach gefallen. Was oder wer sind benannte Stellen? Was steckt dahinter? Wie der Name schon sagt, werden benannte Stellen vom Staat benannt und überwacht. Dass die Grundlegenden Anforderungen an ein Medizinprodukt erfüllt sind, dokumentieren die CE-Kennzeichnung sowie eine Konformitätserklärung. Im Unterschied zu vielen anderen Ländern weltweit, wo Medizinprodukte von einer staatlichen Stelle zugelassen werden – in den USA ist dies die Food and Drug Administration (FDA), in China die China Food and Drug Administration (CFDA) etc. –, dürfen Medizinprodukte mit Erhalt der CE-Kennzeichnung durch die zwar staatlich benannten, aber privatrechtlichen benannten Stellen im europäischen Wirtschaftsraum in Verkehr gebracht werden.
Bekannte und etablierte benannte Stellen in Deutschland sind beispielsweise
Wertvolle Informationen zum Thema unangekündigte Audits gibt Dr. Thomas Feldmann von DQS Medizinprodukte im Interview mit Devicemed. Seine Erfahrung: „Bislang wurden wir noch immer reingelassen.“
Eine frei zugängliche Liste benannter Stellen in Deutschland ist über das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einsehbar. Für Medizinprodukte, die zertifiziert und auf dem Markt sind, gilt das Vigilanzsystem, ein Beobachtungs- und Meldesystem. Dies bedeutet, Medizintechnikhersteller sind dazu verpflichtet, schwerwiegende, sich häufende Vorkommnisse oder Risiken zu melden. Im Falle von Medizinprodukten muss die Meldung an das BfArM gehen; im Fall von In-vitro-Diagnostika ist das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zuständig.
Nutzenbewertung und Co. – das Erstattungssystem des deutschen Gesundheitswesens
Wer seine Medizinprodukte bereits auf dem deutschen Markt hat, der hat in der Regel einen entscheidenden Meilenstein nach der Zertifizierung erfolgreich gemeistert: die Aufnahme in das Erstattungssystem. Dies ist alles andere als einfach, denn das Erstattungssystem des deutschen Gesundheitswesens ist komplex und insbesondere für Marktneulinge erst einmal schwer zu durchschauen.
Wichtig zu wissen ist: Innovative Medizinprodukte und Medizingeräte sind häufig auch mit innovativen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden verknüpft. Damit diese jedoch durch die gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden können, müssen sie eine Prüfung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) durchlaufen. Das GKV-Versorgungstärkungsgesetz regelt die „Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Klasse“.
Um der Komplexität des Themas Rechnung zu tragen, haben die vier Verbände
- Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI),
- Bundesverband Medizintechnologie (BV-Med),
- Deutscher Industrieverband für optische, medizinische und mechatronische Technologien (Spectaris) und
- Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH)
einen Leitfaden erstellt. Der Download des Leitfadens ist beispielsweise beim BV-Med möglich.
Wichtige Informationsquellen sind außerdem:
Bleiben wir bei einem juristischen Thema, dessen Umsetzung jedoch weit in den technischen Bereich reicht: UDI.
Unique Device Identification: Medizinprodukte eindeutig kennzeichnen
Mit der neuen EU-Medizinprodukteverordnung ist Unique Device Identification (UDI) nicht nur in den USA, sondern auch in Europa gültig. Ziel von UDI ist, Medizinprodukte und Medizingeräte eindeutig identifizieren und damit im Bedarfsfall auch rückverfolgen zu können – und zwar über die gesamte Lieferkette. Besonders wichtig ist dies natürlich, wenn Produktmängel vorliegen oder ein dahingehender Verdacht besteht. In diesem Fall können einzelne Produkte oder auch ganze Chargen identifiziert und gegebenenfalls zurückgerufen werden. Im Wesentlichen geht es bei UDI also darum, die Patientensicherheit zu gewährleisten bzw. die Anwender von Medizinprodukten vor Schaden zu schützen. Ein positiver Nebeneffekt: Durch die eindeutige Kennzeichnung lassen sich im Idealfall auch Produktfälschungen identifizieren.
UDI besteht aus einer eindeutigen numerischen oder alphanumerischen Produktidentifizierungsnummer. Die UDI umfasst eine einmalige Produktkennung (Device Identifier – UDI-DI) sowie eine Herstellungskennung (Production Identifier – UDI-PI). Die UDI soll in der EU-Datenbank Eudamed erfasst werden.
Im Rahmen von UDI werden Medizinprodukte und ihre Verpackung eindeutig gekennzeichnet. Die Laserkennzeichnung ist ein etabliertes Verfahren, das sich besonders gut für Medizinprodukte eignet. Wichtig zu wissen in diesem Zusammenhang: Die Markierung muss genauso lange halten wie das Medizinprodukt selbst. Die möglichst gut lesbare und deshalb kontrastreiche Kennzeichnung darf also mit der Zeit nicht verblassen. Das bedeutet: Die Markierung chirurgischer Instrumente muss auch nach vielen Reinigungs- und Sterilisationszyklen noch lesbar sein. Gängig und etabliert sind in der Medizintechnik die folgenden Technologien:
- Für das Medizinprodukt selbst (beispielsweise chirurgische Instrumente oder Herzschrittmacher): Direct Part Marking (Direktkennzeichnung)
- Für die Verpackung: Thermotransferdruck
- Für die Verpackung: Thermo-Tintenstrahldruck (TIJ)
Wertvolle Informationen zu UDI finden sich auf der Webseite der US-amerikanischen Food and Drug Administration. Wer sich im Rahmen eines Seminars über UDI informieren möchte, für den bietet Devicemed Seminare zu UDI an. Weitere Seminare der Devicemed-Akademie widmen sich außerdem den oben erwähnten Themen EU-Medizinprodukteverordnung, einem MDR-Special für Händler und Importeure von Medizinprodukten sowie der europäische Verordnung über In-vitro-Diagnostika.
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