Mergers & Acquisitions in der Medizintechnik Die Branche ist vorsichtig: M&A im 1. Halbjahr 2022
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Krieg in der Ukraine, Lieferkettenprobleme und Inflationssprünge: Die Aktivitäten auf dem weltweiten Transaktionsmarkt im ersten Halbjahr 2022 wurden gebremst. So auch im Medizintechnik-Bereich. Aufsehenerregende Deals und klassische mittelständische Transaktionen lassen auf sich warten.

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Während die Märkte gelernt hatten, immer routinierter mit einer sich fortschreibenden Covid-Pandemie umzugehen, haben der Ukraine-Konflikt und sich im Gefolge weiter massiv verschärfende Lieferkettenprobleme sowie neu hinzutretende Inflationssprünge Herausforderungen produziert, deren finales Ausmaß und Nachhaltigkeit weiterhin schwer einzuschätzen bleiben. Entsprechend vorsichtig fallen vielerorts die Prognosen der führenden Adressen der Medizintechnik aus. Und entsprechend gebremst zeigen sich auch Teilbereiche des weltweiten Transaktionsmarktes. Im Gefolge der deutlichen Leitzinsanhebungen hat sich auch das Finanzierungsumfeld für M&A- und PE/VC-Transaktionen gleichermaßen signifikant verändert. Die zuvor teilweise hoch aggressiven Bewertungen und Transaktionsstrukturen scheinen sich zuletzt etwas zu normalisieren.
Aufsehenerregende Deals lassen auf sich warten
In einem insgesamt gebremsten Marktumfeld konnte auch ein nach wie vor boomender Health-IT-/Digital-Health-Markt zunächst nicht so viele aufsehenerregende Deals produzieren wie zuvor. Auch im ersten Halbjahr 2022 finden jedoch einige der interessantesten Transaktionen in diesen Sektoren statt. Die bislang größte, die drei Milliarden US-Dollar schwere Übernahme von Vocera durch Stryker, wurde allerdings bereits im Januar und damit vor Beginn der Verwerfungen durch den Ukraine-Krieg verkündet. Mit Vocera sichert sich Stryker einen Spezialisten im Bereich von SW-Lösungen und Wearables u. a. für die Arzt-Patienten-Kommunikation für nicht weniger als das 11,5-fache des geschätzten 2022er Umsatzes des Zielunternehmens.
Eine beachtliche Transaktion in diesem Umfeld ist der von IBM mit dem Verkauf von Watson Health an Francisco Partners vollzogene Rückzug aus einer ambitionierten Position im Health-Analytics-Markt. Letztlich bestätigt IBM damit, dass man den eigenen Ansprüchen in diesem Sektor nicht wirklich gerecht werden konnte, betont aber gleichzeitig, dem Bereich Health-IT weiterhin verbunden bleiben zu wollen.
Im an den Medtech-Bereich angrenzenden CDMO(Contract Development & Manufacturing)- und Biotech-Segment kauft Samsung Biologics seinen Partner Biogen aus dem Biosimilars-Joint Venture, Samsung Bioepis, und zahlt dafür zunächst eine Milliarde US-Dollar sofort sowie weitere 812,5 Millionen US-Dollar 2023 sowie 437,5 Millionen US-Dollar 2024. Im gleichen Markt sichert sich die Merck KGaA den biopharmazeutischen Auftragsentwickler und -hersteller Exelead, Indianapolis (USA), zu einem Kaufpreis von rund 680 Millionen Euro.
Der internationale Medtech-Markt im engeren Sinne wurde durch folgende Transaktionen bestimmt:
- Im Januar übernimmt Owens & Minor Apria Inc. für 1,45 Milliarden US-Dollar und baut damit sein Homecare-Business u.a. im Bereich Respiratory aus,
- Medtronic sichert sich für 925 Millionen US-Dollar den Kardiologie-Spezialisten Affera Inc.,
- auch Boston Scientific wird erneut aktiv und steigt für 230 Millionen US-Dollar mehrheitlich (64 Prozent) bei M.I.Tech, einem südkoreanischen Hersteller von Endoskopie- und Urologieprodukten, ein.
Zwei der interessantesten Deals haben es bislang noch nicht über die Gerüchtephase hinausgeschafft: In einem Fall plant Dexcom offenbar, seinen Konkurrenten und Geschäftspartner Insulet zu übernehmen. Damit würde der Verbund in diesem Bereich unmittelbarer Konkurrent von Medtronic. Insulets Marktwert betrug zum Zeitpunkt der ersten Gerüchte rund 14 bis 15 Milliarden US-Dollar. Im anderen Fall wird über ein Interesse von Johnson & Johnson (J & J) an der in den letzten Jahren durch Akquisitionen massiv gewachsenen Boston Scientific (s.o.) spekuliert. J & J hatte zuletzt mehrfach Wachstumspläne im Medtech-Bereich angedeutet. Im Falle von Boston Scientific gäbe es aktuell noch wenige Überlagerungen, was die Transaktionslogik unterstreicht.
Uneinheitliches Transaktionsgeschehen in der D/A/CH-Region
Das Transaktionsgeschehen der D/A/CH-Region zeigt sich insgesamt sehr uneinheitlich, es lassen sich nur wenige Tendenzen ausmachen. Weiterhin bestimmend sind auch im hiesigen Markt Transaktionen und Finanzierungen im Umfeld von Health-IT und Digital Health, darunter mehrheitlich solche mit Venture-Capital(VC)- und Start-up-Bezug. VC- und Private-Equity-Gesellschaften sind erneut an ca. 50 Prozent aller Transaktionen und Finanzierungen beteiligt und können somit stabil als wesentliche Akteure im Medtech-Segment betrachtet werden. Interessanterweise greifen jedoch mittlerweile auch immer mehr große Strategen im Start-up-Bereich zu:
- Beiersdorf investiert mit der Dermanostic in Digital-Health-gestützte dermatologische Diagnosen,
- Henkel Adhesives Technologie steigt beim Schweizer Start-up Smartz AG ein, das ganzheitliche Lösungen für Windeln entwickelt,
- die amerikanische Bruker Corp. erwirbt die Mehrheit an der Pre-Omics GmbH, einem Spezialisten für Probenvorbereitungstechnologien,
- Drägerwerk investiert in das Digital-Health-Start-up GWA Hygiene, das eine sensorgestützte Technologie zum Monitoring der Händehygiene in Krankenhäusern entwickelt,
- das amerikanische Unternehmen 3D Systems übernimmt das Münchner Start-up im Bereich der personalisierten Medizin, Kumovis.
Mit das meiste Aufsehen erregten zwei Adressen, die jeweils an internationale Käufer gingen: Finanzinvestor SHS landete mit dem insgesamt 500 Millionen Euro schweren Verkauf seiner Anteile am ehemaligen Start-up Phenox GmbH, einem mittlerweile führenden Technologiespezialisten für die Behandlung von neurovaskulären Erkrankungen, an die amerikanische Wallaby Medical einen beachtlichen Erfolg. Mit Hg reichte ein weiterer Finanzinvestor seine Anteile am Hildesheimer SW-Spezialisten Medi-Fox Dan für 950 Millionen Euro an den US-Erwerber Resmed weiter.
Ebenfalls im Health-IT-Sektor setzten Compugroup (Datenspezialist Insight Health) und Dedalus-Medizincontrolling-Spezialist GSG ihre Einkaufstour der letzten Jahre fort. Demgegenüber zeigt sich die Otto-Gruppe mit der Übernahme der Schweizer Telehealth-Adresse Medgate Holding als relativ neuer Mitspieler in diesem Markt.
Zwei Transaktionen spielten sich im Segment der Herstellung chirurgischer Instrumente ab: Zuletzt stieg Finanzinvestor Gilde Healthcare mehrheitlich bei Chr. Diener GmbH & Co. KG, Tuttlingen, einem Auftragshersteller chirurgischer Instrumente, ein. Zuvor hatte Carl Zeiss Meditec gleich zwei Hersteller chirurgischer Instrumente in den USA übernommen.
Kaum klassische mittelständische Transaktionen
In der Gesamtschau scheinen Finanzinvestoren und Start-ups die Entwicklung der Branche voranzutreiben, während sich erneut kaum klassische mittelständische Transaktionen zeigen. Sowohl die Kauflust als auch die Begeisterung, Nachfolge-getriebene Transaktionen anzusteuern, dürften derzeit durch einen ganzen Cocktail schwieriger exogener Effekte klar gebremst werden:
- 1. Inflationssprünge in fast allen wesentlichen Kostenbereichen (Rohstoffe, Komponenten, Transport, Energie etc.) belasten die Ergebnisrechnungen gerade kleiner und mittlerer Adressen massiv.
- 2. Lieferkettenprobleme bei einer Reihe von Rohstoffen und Komponenten beeinträchtigen die Produktionssteuerung in einem nicht gekannten Maß.
- 3. Schleppende Zertifizierungen und deutlich steigende regulatorische Kosten treffen insbesondere KMU-Adressen, verengen deren Spielraum für Innovationen und erzeugen Nachteile im internationalen Wettbewerb.
Der auch im Medtech-Segment vermutete erhebliche Backlog an anstehenden Nachfolgeregelungen dürfte sich angesichts dieser Belastungsfaktoren nur schwerlich über attraktive Transaktionen auflösen lassen. Sollten diese Belastungen anhalten, könnte man zunehmend Mittelständler schlichtweg aufgeben oder in „distressed“-Situationen gleiten sehen.
Auch die bislang sehr aktiven Finanzinvestoren dürften es unter diesen Umständen als deutlich herausfordernder ansehen, in diesem Umfeld über Konsolidierungsstrategien international wettbewerbsfähige Adressen zu entwickeln.
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* Der Autor: Dr. Christian Bridts ist Gründer und Geschäftsführer von Bridts Corporate Finance, München. Für Devicemed betrachtet er exklusiv zwei Mal pro Jahr deutschlandrelevante M&As auf dem Medtech-Markt.
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