Medizinelektronik Der Vorteil von modular entwickelten Medizingeräten
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Für medizinische Geräte gibt es Normen und Richtlinien wie MDR und IVDR. Außerdem ist die Hard- und Software für viele Jahre ausgelegt. Damit bei der Entwicklung kein Frust entsteht und weniger Zeit notwendig ist, setzt Solectrix auf eine modulare Entwicklung.

Ob in der Medizintechnik oder bei anderen technischen Entwicklungen: Die Erwartungshaltung von Seiten des Managements an eine Produktentwicklung lässt sich immer ähnlich beschreiben. Jedes Produkt soll sich durch besondere Eigenschaften auszeichnen und damit von der Konkurrenz abheben. Gleichzeitig soll die Entwicklung nicht nur kostengünstig sein, sondern auch wenig Risiko und geringe Kosten umfassen. Bei einer kurzen Entwicklungszeit soll am Ende ein Produkt zu einem angemessenen Preis stehen.
Doch bei medizintechnischen Geräten ist das oft nicht einfach. Seit Einführung der MDR und IVDR ist die Entwicklung medizinischer Geräte nochmals deutlich komplizierter geworden: denn für die Inverkehrbringer sind damit noch höhere Aufwände verbunden, insbesondere für Dokumentation und Zulassung.
Medizinprodukte nach dem Baukastenprinzip entwickeln
Doch letztlich gilt: Das Rad muss nicht jedes Mal neu erfunden werden. Aufwand und Ärger lassen sich reduzieren. Das Team von Solectrix hat sich entschieden, zukünftig verstärkt auf das Prinzip eines Baukastensystems bei der Entwicklung von Medizingeräten zu setzen. Die Systementwicklung erfolgt auf Basis modularer Einzelsysteme. Es ist das erklärte Ziel im Sinne der Kunden Entwicklungszeit und -kosten zu sparen. Das Ergebnis überzeugt. So beispielsweise bei der Entwicklung erster Lateral-Flow-Testgeräte, mobiler IPL-Geräte (Intense Pulsed Light) und anderer universeller medizinischer Tablet-Anwendungen. Wer diesem Beispiel folgen möchte, muss dabei allerdings einige Aspekte beachten.
Modularität kann entweder in den Einzelgewerken Hardware, Software oder Mechanik entstehen und gelebt werden oder auf Systemebene durch die Definition von Modulen mit einheitlichem, integriertem Zusammenschluss aller Gewerke. Voraussetzung ist in jedem Fall eine sorgfältige Analyse der Gemeinsamkeiten aber gleichermaßen der notwendigen Varianzen: Betrachtet man beispielsweise den Markt der Laborgeräte, deren Hersteller aktuell durch die Einführung der IVDR häufig vor enormen Aufwänden nicht zuletzt auch für bestehende, bereits eingeführte Geräte stehen, kann man in vielen Laborgeräten dieselben technische Anforderungen für die Prozessierung einer Probe erkennen.
Bedienschnittstelle und Schnittstellen
Konkret: In sehr vielen Laborgeräten muss eine Probe, wie beispielsweise Blut, transportiert und gegebenenfalls zentrifugiert, temperiert und abschließend die spezifische Reaktion ausgewertet werden. Ob die Auswertung dann durch ein bildgebendes Verfahren oder einen elektrochemischen Effekt erfolgen muss, hängt vom Anwendungsfall ab. Gemeinsam ist jedoch wieder vielen Geräten, dass alle Verarbeitungsschritte für den Anwender mit einer übersichtlichen Bedienschnittstelle sowie der Konnektivität zur Cloud oder einer Klinikinfrastruktur abgerundet werden müssen.
Es ist offensichtlich, dass der Fokus auf mögliche Gemeinsamkeiten der Anwendungen bei einer modularen Ausführung und Umsetzung in Form eines Baukastensystems bedeutende positive Effekte generieren kann.
Eigenständige Einheiten mit dedizierten Funktionen
Als Grundgedanke eines solchen Baukastensystems gilt stets der Ansatz einer Entwicklung auf Basis von sogenannten Building Blocks. Dabei handelt es sich um eigenständige Einheiten mit einer jeweils dedizierten Funktion. Neben der reinen technischen Realisierung in Hardware und Software gilt es für jeden dieser Blöcke bereits von Beginn an sämtliche regulatorischen Anforderungen zu erfassen, die notwendigen Maßnahmen umzusetzen sowie die technische Dokumentation zu erstellen.
Jeder dieser Building Blocks muss vollständig und durchgängig spezifiziert, entwickelt und vor allem verifiziert werden. Nur dann können bei Übernahme eines solchen Blocks in eine neue Geräteentwicklung all diese vorliegenden Informationen unmittelbar in das nachfolgende Entwicklungsprojekt übertragen werden.
Application-Lifecycle-Management
Damit die Übernahmen korrekt umgesetzt werden, kommt bei Solectrix durchgehend ein Application-Lifecycle-Management-System (ALM) zum Einsatz. Damit können die notwendigen Informationen nahezu im Copy-and-paste-Verfahren übertragen werden. In einem solchen System wird die technische Dokumentation strukturiert und nachvollziehbar abgelegt. Auch die notwendige Traceability ist gewährleistet.
Mit welcher Software man arbeitet, ist wie so oft auch Geschmackssache. Solectrix hat sich nach einigen Tests für die Software „codebeamer X“ des Herstellers Intland Software entschieden. Für die Software sprachen der breite Funktionsumfang, die gute Bedienung sowie die Möglichkeit, auch Kunden und Partner in Reviewprozesse direkt einzubeziehen.
Das ALM-System liefert dabei das Gerüst, innerhalb dessen ein System spezifiziert, entwickelt, getestet und gepflegt wird. Es umfasst Schutzmechanismen und Kontrollmechanismen. Sie stellen sicher, dass die gesamte Entwicklung die Anforderungen an Compliance, Effizienz, Benutzerfreundlichkeit, Leistung und andere Maßstäbe erfüllt, bevor sie für die Produktion freigegeben wird. Schließlich bietet ALM Möglichkeiten zur kontinuierlichen Überprüfung und Anpassung der Kosten an sich ändernde Budgetanforderungen und Produktivitätsbewertungen. Somit bleiben auch die ROI-Ziele gewahrt.
Schnittstellen vorausschauend definieren
Zu jeder Systementwicklung gehört die passende Auslegung von Schnittstellen zwischen Subsystemen. Nicht passend definierte Schnittstellen führen oftmals im Verlauf eines Entwicklungsprojekts zu erheblichen Mehraufwänden in Bezug auf Zeit und Kosten. Für einen möglichst breiten Einsatz von modularen Subsystemen in verschiedensten Produkten muss bei der Definition der Schnittstellen deutlich mehr Sorgfalt investiert werden als dies häufig standardmäßig geschieht. Nur dann können sie möglichst universell und zukunftssicher ausgelegt werden.
So müssen Entwickler die Leitungen für die Kommunikation und für die Steuersignale so definieren, dass die darauf aufsetzende Software sie flexibel verwenden kann. Auch muss bei der Stromversorgung der Subsysteme wohlüberlegt vorgegangen werden, damit eine Integration dieser in künftige Systeme möglichst reibungslos vonstattengehen kann.
Verwendete Hardware sinnvoll vorausplanen
Modulare Systeme setzen zudem den durchdachten Einsatz gleichartiger Komponenten voraus. Verschiedene Möglichkeiten zur Konfiguration eines Moduls müssen bereits bei der Entwicklung durch die Definition von Bestückungsoptionen für mögliche Hardwarekonfigurationen berücksichtigt werden. Plant man die Hardware derart voraus, dann wirkt sich das nicht nur auf die Entwicklungszeit, sondern auch bei Beschaffung und Produktion positiv aus.
Ein Vorteil, der nicht nur in Zeiten der Bauteilverknappung zum Tragen kommt: Durch den Einsatz gleichartiger Komponenten in der gesamten Produktfamilie verringert man auf der einen Seite die Teilevielfalt und damit Komplexität der Lager- und Bestandsplanung in Summe. Gleichzeitig erzeugt man eine für die Hersteller der Bauteile relevantere Nachfrage an Komponenten, wodurch man in deren Ranking nach oben steigt und eine bessere Versorgung und Preisvorteile in Aussicht stehen.
Daher gilt: Bei der Einführung von Bauteilen in eine modulare Einheit muss zu Beginn ausreichend Zeit in die Auswahl der Bauteile und die Absicherung deren Langzeitverfügbarkeit gesteckt werden.
Software-Updates und -Sicherheit zentral umsetzen
Die Langzeitperspektive ist gerade in der Medizintechnik wichtig. Blickt man auf die gesamte Lebenszeit eines Produkts, so entstehen beim breiten Einsatz von modularisierten Komponenten noch weitere positive Kosteneffekte. Neben einer zentralen Abhandlung von sämtlichen Themen der Obsoleszenz bei Zukaufkomponenten sind durch Vereinheitlichung auch positive Effekte bei der Pflege der Produktsoftware zu beobachten.
Bei der Pflege einer komplexen Software eines Medizingerätes über die lange Lebenszeit eines Produkts muss schon seit jeher mit hohen, langfristig anzusetzenden Kosten kalkuliert werden: Hinzu kommt, dass immer mehr Medizingeräte untereinander vernetzt sind. Damit einher geht eine breiter werdende Angriffsfläche für potenzielle Angreifer.
Für die kommenden Jahre rechnet man mit weiter steigenden Kosten für Maßnahmen wie fortlaufende Sicherheitsupdates sowie rasches Schließen aufkommender Sicherheitslücken. Hier bietet ein zentrales Wartungsthema ein enormes Einsparpotenzial im Vergleich zu einer parallelen Abhandlung bei jedem einzelnen Projekt und somit Gerätetypus.
Beispiel SX Mobile Device Kit
Ein erfolgreiches Beispiel eines modularen Vorgehens von Solectrix ist die Entwicklungsplattform für mobile medizinische Geräte „SX Mobile Device Kit“. Das Kit besteht aus aufeinander abgestimmter und verifizierter Hardware, Software und Mechanik. Mit dem Fokus auf mobile Anwendungen werden neben dem verifizierten Design des Kernsystems die besonders hohen Anforderungen mobiler Endgeräte im Hinblick auf Akkubetrieb sowie der drahtlosen Kommunikation standardmäßig bedient.
Bei der Software existieren für alle Komponenten bereits entwickelte und dokumentierte Umsetzungen im Rahmen eines Board Support Package für Linux oder auch Android. Zu Beginn einer neuen Geräteentwicklung für ein mobiles Medizingerät kann dadurch auf einem weit fortgeschrittenen Level in die Entwicklung eingestiegen werden. Bereits bei Projekteinstieg ist sowohl Planungs- als auch Designsicherheit gegeben und zum anderen eine verkürzte Time-to-Market garantiert.
Erweitert und kombiniert mit einem passenden, spezifischen Sensorik- oder Detektionsmodul ist es bereits gelungen, auf der Plattformbasis die eingangs erwähnten Lateral-Flow-Testgeräte, mobile IPL-Geräte (Intense Pulsed Light) und weitere universelle medizinische Tablets zu entwickeln.
Die flexiblen Anpassungs- und Erweiterungsmöglichkeiten erlauben es, die medizinischen Produkte für vielfältige Anwendungsfälle zu adaptieren. Das erleichtert die Entwicklung: Beim Einstieg liegt der Fokus von Beginn an auf der spezifischen Diagnose- oder Überwachungsfunktion des angestrebten Anwendungsfalls.
Die modulare Vorgehensweise unterstützt nicht nur die typischen langen Produktlebenszyklen der medizintechnischen Geräte. Sie hilft außerdem dabei, sich dem Trend der sich verkürzenden Zyklen anzupassen, hier insbesondere bei den Endanwendergeräten wie bei Anpassungen oder Produktrelaunches.
Weitere Artikel über OEM-Komponenten und Werkstoffe finden Sie in unserem Themenkanal Konstruktion.
* Benedikt Appold arbeitet als Head of Business Unit Medical bei Solectrix in Fürth.
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