Schnelltests im Einzelhandel verfügbar Corona-Tests für alle: rechtliche Hürden, aktuelle Herausforderungen
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Seit Anfang Februar können Corona-Schnelltests zur Eigenanwendung zugelassen werden. Doch noch immer gibt es wenig Fabrikate und Modelle. Denn: Corona-Tests sind gemäß ihrer regulatorischen Klassifizierung In-vitro-Diagnostika (IVD), die wiederum eine Kategorie der Medizinprodukte darstellen, und stehen somit bei der Zulassung vor einigen Hürden.

Seit dem 3. Februar 2021 sind Corona-Schnelltests zur Eigenanwendung für den freien Verkauf im Einzelhandel freigegeben. Allerdings waren diese Tests in Discountmärkten, wo sie zuerst angeboten wurden, rasch ausverkauft. Die Anzahl der vermarkteten Fabrikate und Modelle ist auch ca. sieben Wochen nach der Einzelhandelsfreigabe noch relativ „übersichtlich“. Es geht eher schleppend vorwärts, wo doch höchste Eile geboten wäre. Woran liegt das, wo es doch offenbar - anders als bei Impfstoffen - keine so großen Produktionsengpässe gibt? Die Antwort ist in der (gerade in Deutschland) zu komplexen Rechtslage zu suchen. Für die freie Vermarktung von Covid-19-Tests zur Eigenanwendung durch Verbraucher bestehen im Wesentlichen drei rechtliche Hürden. Ist nur eine davon zu hoch, stockt das Tempo.
Erste Hürde: Späte gesetzliche Freigabe des Einzelhandelsvertriebs an „jedermann“
Corona-Tests sind gemäß ihrer regulatorischen Klassifizierung In-vitro-Diagnostika (IVD), die wiederum eine Kategorie der Medizinprodukte darstellen (§ 3 Nr. 1 MPG). Die Abgabe (wer darf an wen liefern?) von Medizinprodukten, inkl. IVD, untersteht der Medizinprodukte-Abgabeverordnung (MPAV). Die bei Beginn der Pandemie vorgefundene Rechtslage (gem. § 3 Abs. 4 MPAV) bestimmte, dass IVD-Tests zur Feststellung einer Reihe von meldepflichtigen Erkrankungen, die unter das Infektionsschutzgesetz (IfSG) fallen, nur an einen engen Kreis fachlich qualifizierter Anwender abgegeben werden dürfen (wie Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken, Gesundheitsbehörden). Dies galt dann zunächst auch für IVD zur Testung von Covid-19, und zwar unbeschadet der Testmethode (Antigen-, PCR-, Antikörper-Tests).
Das Gesundheitsministerium hat die strikte Limitierung des berechtigten Kundenkreises schrittweise gelockert. Die Lockerungen vollzogen (und vollziehen) sich dabei - und hier wird es bereits komplex - in unterschiedlicher Weise, und zwar abhängig davon, ob es sich um sogenannte PoC(Point of Care)-Tests (auch als Tests zur patientennahen Anwendung bezeichnet) handelt oder um IVD zur Eigenanwendung durch Laien.
PoC-Tests sind vom Hersteller dazu zweckbestimmt, von Fachpersonal in bestimmten Einrichtungen (Institutionen) angewendet zu werden. Produziert wurden und werden solche PoC-Tests mit Verschärfung der Pandemie relativ rasch in großer Fabrikatsvielfalt, vor allem von chinesischen Herstellern. Darunter befinden sich gerade auch Schnelltests in Form von Testkassetten mit „eingebauter Chemie“, die direkt beim Anwender (ohne Probenversand in ein medizinisches Labor) die Testresultate anzeigen. Anders als PoC-Schnelltests sind Eigenanwendungs-IVD-Schnelltests (auch Selbsttests genannt) dagegen vom Hersteller dazu zweckbestimmt, nicht nur von Fachpersonal in (Gesundheits-)Einrichtungen eingesetzt zu werden, sondern von jedermann (Laien) und überall, einschließlich in der eigenen Häuslichkeit.
Schnelltest-Kits, die von ihren Herstellern zur PoC-Anwendung (eigentlich durch Fachpersonal) zweckbestimmt wurden, dürfen inzwischen (mit Stand der mittlerweile 4. MPAV-ÄnderungsVO) von Herstellern und Großhändlern an einen kaum mehr überblickbaren Kreis institutioneller Anwender geliefert werden. Unter den vielen Dutzend der gem. § 3 Abs. 4a MPAV pauschal zugelassenen Institution, die beliefert werden dürfen, gehören zum Beispiel (frei gegriffen): Berufsbildungswerke, Ferienlager, Frauenhäuser, Gemeinschaftsunterkünfte, Jugendwerkstätten, Osteopathen, Schulen, Schwangerschaftsberatungsstellen, Wohngruppen (nach SGB XI). Mit der 4. MPV-ÄndVO wurden schließlich alle Arbeitgeber mit einbezogen. Dies umfasst das Fertigungswerk eines Dax-Unternehmens genauso wie den lokalen Frisörsalon.
Zu einer generellen Vertriebsfreigabe von PoC-Schnelltests konnte sich das BMG nicht durchringen. Dies ist kaum verständlich. Denn es scheint wenig Sinn zu ergeben, z.B. ausgerechnet Ferienlager und Berufsbildungswerke als taugliche Abnehmer und Anwender von PoC-Schnelltests zu qualifizieren, anstatt sämtliche Vertriebsbeschränkungen für die PoC-Tests aufzuheben.
Stattdessen wurde die generelle Freigabe für alle Vertriebskanäle (Supermärkte, Drogerien, Tankstellen, Online-Handel) nur für die Kategorie der IVD zur Eigenanwendung (§ 3 Abs. 4 S. 2 i.V.m. Anlage 3 MPAV) vorgenommen. Diese sind gem. § 3 Nr. 5 MPG definiert als „In-vitro-Diagnostika, die nach der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung von Laien in der häuslichen Umgebung angewendet werden können“. Diese Laien-Selbsttests sind technisch regelmäßig die gleichen Produkte wie die schon vermarkteten PoC-Tests. Allerdings muss der Hersteller einen PoC-Schnelltest erst zum Eigenanwendungs-IVD „umwidmen“, indem die Zweckbestimmung (gem. § 3 Nr. 10 MPG) der Laien-Selbstanwendung in Gebrauchsanweisung und Kennzeichnung angegeben wird. Darin liegt die zweite Hürde.
Zweite Hürde: IVD-Produktzulassung durch die Bundesoberbehörde
IVD zur Testung von SARS-CoV-2 tragen eine vom Hersteller aufgebrachte CE-Kennzeichnung. Erlangt wird diese gem. §§ 6, 7 MPG i.V.m. der IVD-Richtlinie 98/79/EG im Wege der Selbstzertifizierung des Herstellers, d.h. ohne Einschaltung einer Benannten Stelle. Die Detektion des Coronavirus ist (anders als etwa Marker für HIV, Hepatitis B, C, D, Trisomie 21, Toxoplasmose etc.) keine Diagnostik nach Anhang II Liste A oder B der IVD-Richtlinie. Deshalb muss keine Benannten Stelle, etwa zur EG-Baumusterprüfung, beteiligt werden.
Dies ist anders bei Eigenanwendungs-IVD, also im Falle der „Umwidmung“ von PoC-Schnelltests zu Selbsttests, die nun für den Laiengebrauch zweckbestimmt werden. Hier muss der Hersteller (gem. IVD-Richtlinie, Annex III, Ziff. 6) bei einer Benannten Stelle eine Auslegungsprüfung durchführen lassen und dafür ein Zertifikat erlangen. Benannte Stellen sind aber bekanntlich völlig „ausgebucht“ infolge der epochalen Umstellung auf die Medical Device und die IVD Regulation (EU) 2017/745 und /746. Eingeschränkte Kapazitäten aufgrund der Pandemie treten hinzu. Eine rasche „Nachzertifizierung“ ist kaum realistisch.
Aus diesem Grunde müssen die Hersteller in Deutschland den Weg über die staatliche Sonderzulassung nach § 11 Abs. 1 MPG wählen. Danach kann die zuständige Bundesoberbehörde (PEI, BfArM) auf begründeten Antrag das erstmalige Inverkehrbringen oder die Inbetriebnahme einzelner In-vitro-Diagnostika in Deutschland befristet zulassen, wenn deren Anwendung im Interesse des Gesundheitsschutzes liegt. Die Zulassung kann auf begründeten Antrag verlängert werden. Die Sonderzulassung setzt u.a. eine positive Evaluierung durch das PEI voraus sowie die Vorlage einer Gebrauchstauglichkeitsstudie nach IEC 62366-1:2015 und einer Risikoanalyse speziell zu Gefahren, die sich aus der Eigenanwendung ergeben. Wie nicht anders zu erwarten, kämpft die Behörde seit Wochen mit einem massiven Antragsstau. 7 Wochen nach Vertriebsfreigabe für den Einzelhandel waren gerade einmal 15 Tests verschiedener Fabrikate sonderzugelassen.
In Österreich dagegen genügt offenbar eine Selbsterklärung des Herstellers, damit PoC-Tests zu sog. „Wohnzimmertests“ für die Laien-Selbstanwendung „umgewidmet" und vermarktet werden dürfen. In der Nachmarkt-Phase können dann rollierend die Fabrikate geprüft werden, etwa auf Laienverständlichkeit der Gebrauchshinweise. Entsprechend wird berichtet, dass Mitte März schon mehr als 200 Eigenanwendungs-Tests regulatorische verkehrsfähig waren. Deutschland agiert dagegen bürokratisch. Die Behörden „kleben" an Vorabprüfungen von IVD-Risikobewertungen und Beipackzetteln, (die heutzutage mühelos durch Online-Videos ersetzbar sind).
Dritte Hürde: Gewährleistung von Sachkunde der Abgabestelle
Gemäß § 3 Abs. 3 MPAV muss jede „Abgabestelle“ für Eigenanwendungs-IVD ausreichende „Sachkenntnis zur fachlichen Beratung“ der Endkunden gewährleisten. Das Gesetz vermutet solche Sachkenntnis u.a. bei Ärzten, Zahnärzten, Medizinprodukteberatern, Drogisten, Gesundheitshandwerkern und GKV-zugelassenen Hilfsmittellieferanten. Drogerieketten und Discount-Supermärkte sind nichts von alledem. Das Gesetz monopolisiert die Beratungs-Sachkenntnis allerdings nicht bei den genannten Berufsgruppen. Es ist nicht zu ver-langen, dass der/die Kassierer/in eine Medizinprodukteberater-Schulung durchläuft. Ausreichend sollte sein, wenn - etwa durch Telefon-Hotlines oder Video-Chat-Angebote - eine fachkundige Fernberatung angeboten wird. Dies können die Hersteller auch im Wege der Delegation für die Einzelhändler übernehmen.
Weitere Vorschriften: Kostenlose „Bürgertestung“ (Test-V) und Arbeitsschutz (Bio-Stoff-V)
Nach der Coronavirus-Testverordnung (Test-V) soll nun auch jedermann (asymptomatische Personen) wöchentlich Anrecht auf einen kostenlosen PoC-Antigentest haben. Die hierfür und für andere PoC-Testungen in Umsetzung der sogenannten „nationalen Teststrategie“ kostenerstatteten PoC-Testfabrikate werden durch das PEI in Abstimmung mit dem RKI festgelegt. Die ohne aufwändige Zulassungsprüfung aufgestellte Liste geht in die Hunderte. Zumindest produktseitig scheint hier rasch agiert worden zu sein, wenn auch die Test-V insgesamt hochgradig komplexe Regelungen (z.B. bzgl. der PoC-Leistungserbringer und Honorarabrechnungen) aufstellt. Bei PoC-Testungen in den zugelassenen Institutionen bzw. Einrichtungen (Gemeinschaftsunterkünften, Arbeitgeber etc.) sind für die Testhelfer Arbeitsschutzvorschriften für den Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen nach der Bio-Stoff-V zu beachten, insbesondere die Technischen Regeln (TRBA) 250 und 100 sowie die Empfehlungen des Ausschusses für Biologische Arbeitsstoffe zur Probennahme. Wenn auch das Tragen persönlicher Schutzausrüstung (Maske, Gesichtsschild, Einmalhandschuhe) sicherlich zum Standard gehört, ist abzusehen, dass man allein aufgrund der administrativen Vorgaben wohl nicht erwarten kann, dass Teststationen (an der Kinokasse etc.) aus dem Boden schießen werden.
Weitere Artikel zu regulatorischen Angelegenheiten finden Sie in unserem Themenkanal Regulatory Affairs.
* Der Autor: Dr. Frank Pflüger ist Fachanwalt für Medizinrecht bei Baker & McKenzie.
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