Diagnosemöglichkeit Verstärkung für das Stethoskop: Weste überwacht Lungenfunktion
Anbieter zum Thema
Bei Patienten, die an schweren Atemwegs- oder Lungenerkrankungen leiden, muss die Lungenfunktion konstant überwacht werden. Fraunhofer-Forscher haben eine Technologie entwickelt, bei der Akustiksensoren in einer Textilweste die Lungengeräusche erfassen und diese visuell umgewandelt werden können. So können Patienten auch außerhalb von Intensivstationen fortlaufend überwacht werden.

Forschende am Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS am Standort Berlin haben im Projekt Pneumo.Vest eine Textilweste mit integrierten Akustiksensoren entwickelt. Laut Aussage der Forscher könne diese eine leistungsfähige Ergänzung zum klassischen Stethoskop darstellen. In der Vorder- und Rückseite der Weste sind Akustiksensoren auf Piezokeramik-Basis eingearbeitet. Diese registrieren rund um den Thorax jedes Geräusch, das die Lunge produziert. Eine Software nimmt die Signale auf und gibt diese elektrisch verstärkt aus. Zusätzlich erscheint eine visuelle Darstellung der Lunge auf einem Display.
Pneumo.Vest zeigt den Status der Lunge im zeitlichen Verlauf an, also beispielsweise über die vergangenen 24 Stunden. Auch die klassische Auskultation direkt am Patienten ist möglich. Doch anstelle der manuellen und punktuellen Auskultation mit dem Stethoskop kommen viele Sensoren gleichzeitig zum Einsatz.
„Pneumo.Vest will das Stethoskop nicht überflüssig machen und ist auch kein Ersatz für die Fähigkeiten erfahrener Pneumologen. Doch eine Auskultation oder auch ein Lungen-CT stellen immer nur eine Momentaufnahme zum Zeitpunkt der Untersuchung dar“, erläutert Ralf Schallert, Projektleiter am Fraunhofer IKTS. „Der Mehrwert unserer Technik besteht darin, dass sie ähnlich wie ein Langzeit-EKG die kontinuierliche Überwachung der Lunge erlaubt, und zwar auch dann, wenn der Patient nicht an Geräten auf der Intensivstation angeschlossen, sondern auf der Normalstation untergebracht ist.“
Software visualisiert die Daten
Herzstück der Weste ist neben den Akustiksensoren die Software. Sie ist für die Speicherung, Darstellung und Analyse der Daten zuständig. Mit ihr kann der Arzt das akustische Geschehen in einzelnen Lungenbereichen auf dem Display betrachten. Da die Software die Position jedes einzelnen Sensors kennt, platziert sie dessen Daten an der entsprechenden Stelle. So entsteht ein detailreiches akustisches wie optisches Szenario der Belüftungssituation aller Lungenbereiche. Das Besondere daran: Da das System die Daten permanent erfasst und speichert, kann die Untersuchung zu jedem beliebigen Zeitpunkt ohne Beisein des Krankenhauspersonals erfolgen.
Der Einsatz von Algorithmen der digitalen Signalverarbeitung ermöglicht eine gezielte Bewertung akustischer Signale. So ist es beispielsweise möglich, den Herzschlag herauszufiltern oder charakteristische Frequenzbereiche zu verstärken. Lungengeräusche wie Rascheln oder Röcheln sind dann deutlicher hörbar.
Die Forscher am Fraunhofer IKTS entwickeln darüber hinaus Machine-Learning-Algorithmen. Diese sollen zukünftig in der Lage sein, die komplexe Geräuschkulisse im Thorax zu strukturieren und zu klassifizieren. Die endgültige Bewertung und Diagnose nimmt dann der Pneumologe vor.
Erste Tests zeigen positive Ergebnisse
Erste Tests mit Personal an der Klinik für Intensivmedizin der Universität Magdeburg zeigen, dass das Konzept in der Praxis aufgeht. „Das Feedback von Ärzten war überaus positiv. Die Kombination aus Akustiksensoren, Visualisierung und Machine-Learning-Algorithmen wird in der Lage sein, eine Reihe von unterschiedlichen Lungengeräuschen zuverlässig zu charakterisieren“, erläutert Schallert.
Auf die Technik freut sich auch Dr. Alexander Uhrig von der Universitätsmedizin Berlin. Der Spezialist für Infektiologie und Pneumologie an der Charité war einer der Initiatoren der Idee: „Pneumo.Vest adressiert genau das, was wir brauchen. Wir bekommen damit ein Instrument, das die Diagnosemöglichkeiten erweitert, unser Klinikpersonal entlastet und den Klinikaufenthalt für die Patienten angenehmer gestaltet.“
Vorteile für Patienten
Auch die Patienten profitieren von der digitalen Sensor-Alternative. Mit angelegter Weste können sie auf die Normalstation verlegt und sogar nach Hause geschickt werden und sich weitgehend frei bewegen. Die Lunge wird durch die Weste fortlaufend kontrolliert und eine plötzlich eintretende Verschlechterung sofort an das medizinische Personal gemeldet.
Die Technologie ist in erster Linie für Beatmungspatienten konzipiert, doch sie eignet sich genauso gut für Menschen in Pflegeeinrichtungen oder auch für den Einsatz im Schlaflabor. Eine weitere Anwendung ist das Training junger Ärzte für die Auskultation.
Weitere Artikel zur Zukunft der Medizintechnik finden Sie in unserem Themenkanal Forschung.
(ID:48521384)