Proto Labs In dieser harten Schale steckt ein weicher Kern
Nach einer Schlaganfalloperation benötigt ein Patient in Argentinien ein Schädelimplantat. Besonders groß muss es sein, passgenau und gut verträglich; außerdem durchlässig für Flüssigkeiten, wärmeableitend – und möglichst innerhalb von wenigen Wochen fertig.
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Braucht ein Mensch ein Implantat im Schädel-Hirn-Bereich, sollen externe Faktoren den Heilungsverlauf unterstützen oder zumindest nicht behindern. Dies gilt in besonderem Maße für das Implantat selbst. An erster Stelle steht hier eine möglichst perfekte Passform – beinahe schon ein Klassiker für Anwendungsfälle aus dem Bereich der Additiven Fertigung: Die schichtweise Fertigung über einen Laser, der das Material – in diesem Fall Titan – Stück für Stück aushärtet, bietet maximale Individualisierbarkeit in Bezug auf die Form sowie die Größe.
Das Lastenheft enthält eine Vielzahl Herausforderungen
Im Falle des argentinischen Patienten gaben die behandelnden Ärzte den Medizintechnik-Experten von Novax DMA und der heutigen Proto Labs Eschenlohe GmbH noch weitere Herausforderungen mit auf den Weg. Dazu zählten, wegen der Größe der Knochenlücke, die biologische Funktionsintegration sowie eine möglichst geringe Wärmeabgabe in das Gehirngewebe. Titan ist zwar sehr verträglich für den Körper, aber als Metall besteht bei starker Sonnenexposition für Patienten die Gefahr, dass zu viel Wärme ins Körperinnere gelangt. Zudem ist eine Titanstruktur zunächst einmal nicht durchlässig für Gewebeflüssigkeit aus dem Gehirn. Auch spezielle Folgeprozesse nach der eigentlichen Herstellung hatten die Mediziner ins Lastenheft für das Implantat diktiert. Denn erst die perfekte Nachbehandlung – und hier insbesondere die Reinigung – ermöglicht den Einsatz im medizinischen Bereich. Sie ist so wichtig, weil sich anhaftende Partikel durch kleinste Bewegungen vom Körper lösen und in der Folge Infektionen oder Abstoßungsprozesse auslösen können. Zudem ist eine absolute Keimfreiheit zentrales Kriterium für eine erfolgreiche Aufnahme des Implantats durch den Körper.
Nachdem man alle Aspekte zusammengetragen und bewertet hatte, kamen die Experten zu dem Schluss, dass einzig eine poröse Struktur die erforderlichen Eigenschaften erfüllen könnte. Ein gitterförmiges Implantat mit integrierten Anschraublaschen hin zum Schädelknochen wäre in der Lage, sowohl Flüssigkeiten durchzulassen als auch gut mit dem Schädel zu verwachsen. Darüber hinaus hätte ein solches Design eine isolierende Wirkung, sodass die Wärmeableitung ins Schädelinnere minimiert würde.
Gitterförmige Implantate verwachsen gut mit dem Schädel
Die Dimensionen: Die Poren selbst sind etwa 1 mm groß, die Stegbreite beträgt etwa 0,2 mm. Nachdem die grundlegende Struktur gewählt war, gingen die Medizintechnikspezialisten in die Umsetzung über. Daniel Fiz, CEO von Novax DMA, erinnert sich: „Zeit spielt in diesem Umfeld eine wichtige Rolle. Immerhin sollen Patienten ihr Implantat möglichst schnell erhalten. Nachdem wir die endgültigen Informationen über die Dimensionierung erhalten hatten, begannen wir daher unmittelbar mit den Konstruktionsarbeiten und der Herstellung des Implantats bei der heutigen Proto Labs Eschenlohe GmbH.“
„Wir haben mit unseren Fertigungsverfahren schon viele Projekte erfolgreich realisiert“, bilanziert Christoph Erhardt, Head of 3D-Printing and Quality Management bei der Proto Labs Eschenlohe. „Stolz sind wir bei diesem Implantat jedoch nicht nur auf die exakte Umsetzung der Form. Vor allem konnten wir die Reinigung optimieren.“ Denn gerade poröse Strukturen mit ihren innenliegenden Kleinsthohlräumen sind nur schwer zu säubern. Das genaue Verfahren ist deshalb entsprechend vertraulich. Grundsätzlich hat Proto Labs Eschenlohe einen mehrstufigen Prozess von abrasiver und mechanischer Reinigung, Spülungen und Ultraschall angewandt, um die medizinisch erforderliche Reinheit zu erlangen. Einen entsprechenden Prozess zu entwickeln, hat ein halbes Jahr in Anspruch genommen.
Dank 3D-Druck in nur drei Wochen ein fertiges Implantat
Das Ergebnis: ein perfekt auf die individuellen Anforderungen des Krankheitsbilds zugeschnittenes Implantat. Die Porosität erreicht 95 Prozent, sodass Flüssigkeiten mit möglichst wenig Widerstand abfließen können; zudem kann das Knochengewebe optimal in die Außenränder des Implantats eindringen und mit ihm verwachsen. Gleichzeitig ist das Material stabil genug, um dem Patienten die erwünschte Normalisierung seines Lebens zu ermöglichen. Die als Regelgitter gefertigte Struktur erreicht die erwünschten Wärmeleitfähigkeiten – so dass für den Patienten auch Aufenthalte in der Sonne kein Problem darstellen.
Bei all diesen Möglichkeiten zur Perfektionierung spielte jedoch auch der Faktor Zeit eine besonders kritische Rolle. Zählt im industriellen Umfeld die Time-to-Market schon zu den Stärken der Additiven Fertigung, so gilt dies noch mehr im medizinischen Bereich: Das Implantat war nach nur drei Wochen im Operationssaal. Das größte Zeitfenster beanspruchte dabei mit etwa einer Woche der Transport. Sowohl Datenaufbereitung als auch Herstellung waren in etwa zweieinhalb Tagen erledigt, die restliche Zeit entfiel auf Abläufe im Bereich der Logistik und Abstimmung.
Den Reinheitsgrad des Implantats konnten die beiden Unternehmen übrigens durch umfangreiche Messungen belegen. So ließ das Team um Christoph Erhardt unter anderem Partikel- und Zytotoxizitätstests durchführen. Darüber hinaus erfolgte eine Analyse im Gas-Chromatographen. „Alle Untersuchungen haben bestätigt: Das additiv gefertigte Implantat erfüllt die notwendigen Voraussetzungen, um dauerhaft die Schädeldecke des Patienten zu stabilisieren und zu schützen. Die eineinhalbstündige OP verlief reibungslos. Der Patient konnte die Klinik bereits nach zwei Tagen verlassen, die Wunde war nach drei Wochen verheilt. Seitdem traten keine Komplikationen mehr auf“, bilanziert der Experte.
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