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Steinbeis-Transferzentrum Gesundheitscheck per Fingerdruck – Potenziale medizinischer Sensoren

Redakteur: Christian Lüttmann

Per Fingerdruck Vitalwerte und Blutzucker erfassen – oder mit einer Gewebeprobe die Medikation für eine Tumorbehandlung individuell auf den Patienten abstimmen: Die moderne Sensortechnik bietet schon heute viele Möglichkeiten. Am Steinbeis-Transferzentrum „Medizinische Elektrotechnik und Lab on Chip-Systeme“ entwickeln Forscher neue Medizintechnik, die eine leichtere und bessere Diagnostik ermöglichen soll.

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Prof. Bernhard Wolf: „Die Historie unserer Patente zeigt, mit den von uns entwickelten Sensoren und Implantaten waren wir unserer Zeit voraus.“ Bereits heute gibt es für die meisten Anwendungsfälle Sensoren.
Prof. Bernhard Wolf: „Die Historie unserer Patente zeigt, mit den von uns entwickelten Sensoren und Implantaten waren wir unserer Zeit voraus.“ Bereits heute gibt es für die meisten Anwendungsfälle Sensoren.
(Bild: TU München Arbeitsgruppe HNLME Abt. Prof. Wolf, Foto: Kurt Bauer 01712202121)

Hochschulwissen für Unternehmen nutzbar machen und in den Markt bringen – das ist das Ziel der Experten des Steinbeis-Transferzentrums „Medizinische Elektrotechnik und Lab on Chip-Systeme“ in München. Sie arbeiten an technischen Neuerungen, die den Menschen dienen und zugleich vieles einfacher, schneller und besser machen sollen.

So konzipieren die Wissenschaftler derzeit in Zusammenarbeit mit einem großen Halbleiterhersteller ein Multi Sensor Array, das sich in Handheld-Geräte wie etwa einem Handy integrieren lässt. Über ein elektrochemisches Spektrometer soll der fertige Chip physiologische Daten kontrollieren und diese auf Basis eines winzigen Tropfen Bluts oder einer anderen Körperflüssigkeit auch analysieren. Während der Halbleiterhersteller die dafür erforderlichen Bauelemente entwickelt (so genannte CMOS-Technik), nehmen sich die Experten des Steinbeis-Transferzentrums der Themen Auswertung und Mikrofluidik an.

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Präzision vs. Preis

Die Nachfrage nach Sensorik für medizinische Messungen hoch, jedoch ist meist auch ein hoher und oft unterschätzter Entwicklungsaufwand erforderlich, um Lösungen für die Anfragen aus dem Markt gezielt angehen zu können. Zudem hemmen politische und wirtschaftliche Interessen immer wieder die Einführung neuer Technologien, was bisweilen zu einer trägen Förderung von Forschungsprojekten führt. Somit geht vielfach wertvolle Zeit verloren, bis neue medizinische Produkte die Marktreife und Zulassung erlangen.

Beispielsweise haben die Experten aus München schon früh eine Immun-Sensorik entwickelt. Weil jedoch Impulse von außen fehlten, wurde diese aus Kostengründen bislang nicht umgesetzt. Vielmehr kommen noch heute einfache und unschlagbar günstige Produkte wie etwa Teststreifen zum Einsatz. Diese werden in China für sehr wenig Geld gefertigt und in Europa gewinnbringend verkauft.

Allerdings sind solche Streifen nicht so präzise, wie es eigentlich erwünscht ist, gibt Forschungsleiter Prof. Bernhard Wolf zu bedenken: „Um hiermit ein belastbares Ergebnis zu erhalten, ist es erforderlich, zusätzlich den Speichel oder das Blut einer Person zu untersuchen. Technisch wäre eine direkte Auswertung jedoch möglich.“ Ein chemisches Spektrometer würde die Analyse direkt erlauben. Wird die Sensorik dann noch mit einem Smartphone gekoppelt, ließen sich Ergebnisse umgehend auf dem Display ablesen.

Ungenutzte Möglichkeiten wie das All-in-One-Medizingerät

Prinzipiell lassen sich bereits jetzt vielfältige Anforderungen durch verschiedene verfügbare Sensoren abdecken. Direkt am Körper oder in unmittelbarer Umgebung getragene Wearables können individuelle medizinische Anwendungen durch die Messung von Vitaldaten unterstützen.

Hierzu haben die Experten vom Steinbeis-Transferzentrum z. B. das mit einer sensorischen Manschette ausgestattete so genannte All-in-One-Medizingerät entwickelt. Sobald der Patient seinen Finger an die dafür vorgesehene Stelle legt, misst das Gerät automatisch Blutdruck, Puls, Körpertemperatur, Sauerstoffsättigung im Blut und Hydratisierung. Mithilfe eines Bluttropfens stellt es außerdem den Blutzuckerwert fest. Zudem kann die stabile Einheit ein EKG erstellen und über eine externe Waage das Gewicht des Nutzers messen. Ärzte stehen dieser Form der Diagnostik indessen oftmals kritisch gegenüber, meint Forschungsleiter Wolf.

Elektrisches Implantat zur Tumorerkennung

Die personalisierte Medizin bietet auch bei der Behandlung von Tumoren einen vielversprechenden Ansatz. Das Wachstum bösartiger Tumoren geht mit einer Sauerstoff-Mangelversorgung von Zellen und abnormen metabolischen Prozessen einher. Wird ein Sensor in unmittelbarer Nähe eines Tumors implantiert, kann dieser Informationen über die Aktivitäten des Tumors liefern. Diese Messdaten können wiederum die Grundlage für eine individualisierte und exakt dosierte Therapie bilden, wie Wolf erklärt.

So könnte ein in etwa zuckerwürfelgroßes, elektronisches Implantat mit einem Sauerstoff-Sensor, einem Akku, miniaturisierter Elektronik, einer Funkeinheit und bei Bedarf auch mit einem Wirkstofftank versehen werden. Detektiert der Sensor einen Sauerstoffmangel, lässt das auf ein Tumorwachstum schließen. In vivo würde das Implantat außerdem Langzeitmessungen ermöglichen, die als Basis für weitere Therapieschritte dienen können.

Personalisierte Krebstherapie

Ein weiteres Instrument zur Tumortherapie ist der personalisierte Chemosensitivitätstest (pCST). Hierzu muss der Arzt dem Patienten lediglich Tumorgewebe per Biopsie entnehmen. Kleine Stücke des Gewebes werden dann direkt auf elektronischen Sensoren kultiviert, die sich auf einer „intelligenten Multiwellplatte“ befinden. An der Basis der mit 24 Kammern ausgestatteten Multiwellplatte sitzt ein multiparametrischer Sensor. Weil die entnommenen Tumorzellen mit den Sensoren zu biohybriden Strukturen verwachsen, können die Sensoren Änderungen der Physiologie der Zellen messen.

Dank des „Intelligent Microplate Reader“ (IMR) kann ein Pipettierroboter die 24 Reaktionskammern in einem Arbeitsschritt mit 24 unterschiedlichen Wirkstoffen oder unterschiedlich hohen Konzentrationen eines Wirkstoffs füllen. Die Sensoren erfassen die Veränderung der Sauerstoffkonzentration, des pH-Werts und der elektrischen Leitfähigkeit im Umfeld des Tumorgewebes. Aus diesen Daten ließen sich individuelle Therapieformen entwickeln und die für einen Patienten effektivste Konzentration eines Chemotherapeutikums ableiten. Doch eine so spezifische Diagnostik hat ihren Preis – und der ist noch zu hoch.

„Es fehlt an Motivation, in neue Technologien zu investieren“

Miniaturisierte elektronische Schaltungen haben zwar das Potenzial, die Medizintechnik umzugestalten. Doch Investitionen sind derzeit noch rar. Schließlich sind mikroelektronikbasierte Technologien teuer. „Solange bereits eingeführte low cost Systeme als ausreichend eingestuft werden, fehlt vielfach die Motivation, in neue Technologien zu investieren“, sagt Wolf.

Weil das Gesundheitssystem in Deutschland auf den Arzt fokussiert ist, schrecken viele Menschen zudem vor einer dezentralen patientennahen Versorgung zurück. Das Potenzial der Mikroelektronik werde somit noch zu wenig genutzt, meint der Experte. „Investitionen in die Entwicklung lohnen jedoch. Deshalb stehen wir einer Kooperation mit geeigneten Partnern sehr offen gegenüber“, betont Wolf abschließend.

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Dieser Artikel ist zuerst erschienen auf unserem Schwesterportal www.laborpraxis.vogel.de.

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