Adesso Daten: die neuen Instrumente in der Medizin
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Ob Künstliche Intelligenz aussagekräftige Ergebnisse liefert, hängt in erster Linie von einer ausreichenden Datenmenge ab. Im Gegensatz zu anderen Industrien erschließen medizinische Anwendungen die ganzheitliche, automatisierte Datenerfassung durch digitale Systeme und Sensorik aber erst recht langsam. Wo die Entwicklung hingehen wird ist deshalb noch weitgehend offen.

- Der Einzug der Künstlichen Intelligenz in der Gesundheitsbranche wirft wichtige Fragen zur Erhebung der Daten auf
- Digitale medizinische Anwendungen sind zwar heute im Einsatz, aber Datenmengen und -qualität reichen oft noch nicht für qualifizierte KI-Anwendungen aus
- Die besten Ergebnisse erzielen heute die Kombination aus künstlicher und menschlicher Intelligenz
Künstliche Intelligenz (KI) – wie die Digitalisierung im Allgemeinen – schickt sich an, in zahlreiche Lebensbereiche Einzug zu halten. So auch in höchst vertrauliche und schützenswerte Bereiche. Nirgendwo sind diese Änderungen so persönlich und weitreichend wie in der Medizin und Pflege. Jede Person kommt im Laufe ihres Lebens mit medizinischen, diagnostischen, therapeutischen oder Versorgungsprozessen in Kontakt – ob als Patient oder als Angehöriger. Fast immer geschieht das unfreiwillig. Die Veränderungen und Fragestellungen, die KI-Technologien mit sich bringen, werden daher jeden betreffen. Nicht zuletzt, da sie große Potenziale für die Medizin in sich bergen. Etwas, das für die Versorgung der sich gravierend ändernden Gesellschaft immer wichtiger wird. Was konkret – welche Aussagen und Entscheidungen – Gesellschaft und Gesundheitsdienstleister der KI „erlauben“ werden, wird in ethischen Wertediskussionen münden müssen und sprengt den Rahmen eines solchen Beitrages.
Weil es in der Medizin um persönliche und intime Themen geht, steht die gesamte Branche unter besonders aufmerksamer Betrachtung durch Gesetzgeber und Öffentlichkeit. Gesetzliche Rahmenbedingungen, komplexe Regelwerke und detaillierte Prüfverfahren bestimmen den Alltag der medizintechnischen Unternehmen aber auch forschender Einrichtungen. Hier prallt die „Trial and Error“ Mentalität der Data-Scientists – als ein typisch heuristisches Vorgehen in KI-Projekten – auf detaillierte Vorschriften, enge Kontrollabläufe und die Sorge vor der „Black Box KI“. Diese Vorgaben beeinflussen selbstverständlich auch die Art und Weise, wie Institutionen, Körperschaften und Unternehmen im medizinischen Kontext Daten erheben, verarbeiten und nutzen dürfen.
Unabhängig von ihrem Einsatz-Zweck – sei es, in Studien große Datenmengen zu untersuchen oder in Medizingeräten gelernte (oder lernende) Algorithmik für den einzelnen Patienten zur Verfügung zu stellen – benötigt jede KI-Anwendung eine sogenannte „kritische“, d.h. eine minimale Menge an Daten. Hierin unterscheidet sich der Medizinsektor nicht von anderen Branchen: Daten sind die Grundlage einer jeden Künstlichen Intelligenz.
Der schwierige Weg in Richtung qualifizierter Daten
Spektakuläre Fälle des Missbrauchs oder Berichte über Sicherheitslücken sensibilisieren für das Thema „Medizindaten“ und den Umgang mit ihnen. Die Medizin ist hier keine Ausnahme, im Gegenteil. Der Umgang mit Daten im medizinischen Kontext hat daher eine besondere Bedeutung: Wie werden sie erhoben? Wie weiterverarbeitet? Wer hat diese Nutzung autorisiert? Datensicherheit und -schutz, Einwilligungskonzepte, ethische Betrachtungen und weitere Aspekte kommen zum Tragen. Zudem mangelt es in der Medizin häufig an einer qualifizierten Datenbasis (zur Auswertung durch eine KI).
Anders als in anderen Industrien, bei denen Kernsysteme, stationäre und kabelgebundene Sensorik und umfangreiche Statistiken bereits lange strukturierte Daten zur Verfügung stellen können, erschließen medizinische Anwendungen die ganzheitliche, automatisierte Datenerfassung durch digitale Systeme und Sensorik erst recht langsam. Auch heute ist sie weiterhin von System- und Medienbrüchen gestört. Des Weiteren mangelte es zu lange an der nötigen Interoperabilität und somit der Möglichkeit, Daten verschiedener Quellsysteme zusammenzuführen und vergleichen zu können. Die Diskussionen über die Datenhaltung, ihre Sicherheit und ihren Schutz sind noch lange nicht beendet, wie das jüngste Privacy-Shield-Urteil des EuGH oder auch der Weckruf von Prof. Ulrich Kelber zur DSGVO-Konformität der elektronischen Patientenakte zeigen. Auch wenn heute Wearables, Smartwatches oder Ambient-Assisted-Living-Lösungen bereits mannigfaltige Daten generieren, bedarf es noch einer langen Wegstrecke, bis diese als Grundlage einer Befundung – mit oder ohne KI – barrierefrei dem behandelnden Arzt zugänglich gemacht werden können.
Eine weitere Herausforderung in der Medizin ist der Aufbau eines Sets an sogenannten annotierten Daten. Diese vorqualifizierten Daten spielen beispielsweise bei KI-gestützten Bilderkennungsverfahren eine Rolle. Wer Fotografien von Äpfeln gegen die von Birnen kategorisiert, braucht dafür keine besondere Qualifikation. Anders sieht es aus, wenn die Aufnahme einer Hautauffälligkeit in die Kategorien „Leberfleck“ oder „Melanom“ eingeteilt werden soll. Dafür werden fachliche Experten mit einschlägiger Berufserfahrung benötigt. Je nach medizinischem KI-Anwendungsfall ist das Erstellen entsprechender Trainings- und Testdaten mit großem Aufwand verbunden. Die ersten KI-Anwendungen stammen daher aus den Bereichen, in denen schon große und bereits validierte digitale Datenmengen vorliegen. Daten, die zum Erlernen der Muster, dem sogenannten maschinellen Lernen, benötigt werden. Naturgemäß ist dies primär bei bildgebenden Verfahren der Fall. KI-Anwendungen, die zudem nicht nur interindividuelle, sondern intraindividuelle Muster erkennen sollen – wie es beispielsweise moderne digitale Gesundheitsanwendungen tun werden –, benötigen ein sehr feingliedriges und vor allem individuelles und zeitaufwändiges Vorgehen.
Ein weiterer Aspekt, der für den Einsatz von KI-Anwendungen genauso gilt wie für das medizinische Wissensmanagement in klinischen Studien im Allgemeinen: Die Gefahr besteht, dass die Datenbasis im Einzelfall nicht ausreichend randomisiert beziehungsweise vorurteilsfrei ist. Wenn sich die Organisatoren von Studien auf ein Geschlecht, bestimmte Altersgruppen oder Ethnien – ob bewusst oder unbewusst – konzentrierten, fließt dies auch in die anonymisierten Studiendaten ein. Die Beteiligten stehen dann vor der Herausforderung, dass ein Algorithmus solche Verzerrungen als relevante Muster deuten kann. Denn eines fehlt der Künstlichen Intelligenz: der gesunde Menschenverstand. Auf dieser Basis käme sie zu Ergebnissen, die lediglich auf der unzureichenden Teildatenmenge beruhen – und nicht die Realität widerspiegeln. Entsprechend wichtig ist es, dass beispielsweise die Bedingungen für die Aufnahme von Probanden, deren Abbruchverhalten, Begleittherapien und Auswahlkriterien in derlei Studien transparent sind und berücksichtigt werden. Diese sogenannten „Bias“ sind hinlänglich bekannte Phänomene in klinischen Studien. Sie können auch oder sogar besonders bei KI-Anwendungen Ergebnisse massiv verzerren.
Fazit: Die Anstrengungen werden sich auszahlen
Akteure in der Medizin bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen einer ständig wachsenden Datenmenge auf der einen und herausfordernden Rahmenbedingungen für die Nutzung dieser Daten auf der anderen Seite. Die fortschreitende Nutzung dieser Daten in KI-Verfahren verändert zahlreiche Aspekte der Gesundheitsbranche und wird auch ethische Diskussionen anstoßen. Menschliche Experten müssten angesichts hunderttausender Datenpunkte, die eine Smartwatch sammelt oder die klinischen Studien liefern, die Waffen strecken. KI-Anwendungen fühlen sich genau hier wohl und können spannende und bislang nicht erkannte Ergebnisse liefern. Sie werden zudem nie müde oder unkonzentriert. Die mit Algorithmen denkbaren Auswertungsmöglichkeiten versprechen Erkenntnisse auf Makroebene – also für eine Vielzahl von Betroffenen – ebenso wie für den Einzelnen. Er profitiert beispielsweise von algorithmischen Auswertungen auf Basis seiner Vitalwerte, Bewegungs- und Umfelddaten aus seiner Smartwatch und seinem -phone, was weit über das „schlichte“ Erkennen von Herzrhythmusstörungen hinaus gehen wird: Individuelle Auswertungen durch KI werden Prädiktionen, Therapievorschläge oder Diagnosen erlauben, die auch die Arzt-Patienten-Beziehung in vielen Facetten neu gestalten wird.
KI-Technologien werden in Medizingeräten für den ärztlichen Einsatz bereits erfolgreich eingesetzt: Insbesondere bei bildgebenden Verfahren spielen diese Anwendungen ihre Vorteile aus. Je nach Einsatzgebiet erzielen KI-Anwendungen dabei Ergebnisse, deren Qualität mit den Ergebnissen menschlicher Experten vergleichbar ist beziehungsweise diese sogar übertrifft. Die besten Ergebnisse erzielt logischerweise heute allerdings die Kombination von menschlicher und Künstlicher Intelligenz.
Wie weit diese Entwicklungen im medizinischen Bereich gehen werden, ist aktuell noch offen. Es ist zu vermuten, dass diese Verfahren und Technologien auch (teil-)autonom im therapeutischen Umfeld eine Rolle spielen werden. Hier bietet sich der Vergleich mit den Assistenzsystemen von Pkws an: Was mit der Totwinkel- und Distanzwarnung anfing, entwickelt sich Schritt für Schritt zum selbstfahrenden Auto. Im medizinischen Umfeld können KI-Anwendungen in Einsatzgebieten wie parenteraler Medikamentenapplikation, Diagnostik, Therapieregime, Intensivmedizin, Narkosesteuerung oder in OP-Robotern eine Rolle spielen.
Dies alles wird unter anderem von der Akzeptanz der Beteiligten abhängen: Nur wenn Patienten, Angehörige und Fachleute den KI-Lösungen vertrauen, werden diese sich in der Breite durchsetzen. Die Voraussetzungen dafür sind gut – wir arbeiten daran.
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* Dr. Thorsten Hagemann begleitet medizintechnische Unternehmen, Leistungserbringer und Kostenträger bei den Herausforderungen der Digitalisierung. Seit jüngstem ergänzt er mit seinem Know-how die Line of Business Health von Adesso im Business Development für die Gesundheitsmärkte und ist so Innovator für die Verbesserung, Optimierung oder Neudefinition in medizinischen Versorgungs- und Behandlungsprozessen. Als studierter Mediziner schließt er die Lücke zwischen medizinischen Prozessen und digitalen Lösungsansätzen.
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