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Empa Ohr aus dem 3D-Drucker

Autor / Redakteur: / Kathrin Schäfer

Aus Holz gewonnene Nanocellulose verfügt über erstaunliche Materialeigenschaften. Empa-Forscher bestücken den biologisch abbaubaren Rohstoff nun mit zusätzlichen Fähigkeiten, um Implantate für Knorpelerkrankungen mittels 3D-Druck fertigen zu können.

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Ein Ohr aus dem 3D-Drucker: Empa-Forscher Michael Hausmann nutzt Nanocellulose als Basis für neuartige Implantate.
Ein Ohr aus dem 3D-Drucker: Empa-Forscher Michael Hausmann nutzt Nanocellulose als Basis für neuartige Implantate.
(Bild: Empa)
  • Ohr aus Nanocellulose und einer zusätzlichen Biopolymerkomponente
  • Nanocellulose in zähflüssiger Form mit dem Bioplotter zu komplexen räumlichen Formen gestalten
  • Nanocellulose-basierte Komposite in Ohrform als Implantat für Kinder mit angeborener Ohrmuschelfehlbildung

Es beginnt alles mit einem Ohr. Der Empa-Forscher Michael Hausmann entfernt das Objekt in Form eines menschlichen Ohrs aus dem 3D-Drucker und erklärt: „Nanocellulose lässt sich in zähflüssiger Form hervorragend mit dem Bioplotter zu komplexen räumlichen Formen gestalten.“ Einmal ausgehärtet, bleibt die produzierte Struktur trotz ihrer Zartheit stabil. Hausmann untersucht derzeit die Charakteristika des Nanocellulose-Hydrogels, um die Stabilität und den Druckprozess noch weiter zu optimieren. Wie die Cellulose in dem Biopolymerkomposit verteilt und organisiert ist, ermittelte der Empa-Forscher bereits durch röntgenanalytische Untersuchungen.

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Momentan besteht das ausgedruckte Ohr zwar lediglich aus Nanocellulose und einer zusätzlichen Biopolymerkomponente. Ziel ist es jedoch, das Grundgerüst mit körpereigenen Zellen und Wirkstoffen zu bestücken, um biomedizinische Implantate zu erzeugen. Wie sich beispielsweise Knorpelzellen in das Gerüst integrieren lassen, wird derzeit in einem neuen Projekt erforscht. Sobald die Besiedlung des Hydrogels mit Zellen etabliert ist, könnten die Nanocellulose-basierten Komposite in Ohrform Kindern mit einer angeborenen Ohrmuschelfehlbildung als Implantat dienen. Bei der so genannten Mikrotie etwa sind die äußeren Ohren nur unvollständig ausgebildet. Mit einer Rekonstruktion der Ohrmuschel wird die Fehlbildung kosmetisch, aber auch medizinisch behoben, da die Hörfähigkeit ansonsten stark eingeschränkt sein kann. Im weiteren Verlauf des Projekts sollen die Nanocellulose enthaltenden Hydrogele auch für Kniegelenksimplantate bei Gelenkverschleiß etwa durch chronische Arthritis eingesetzt werden.

Das Nanocellulose-Implantat löst sich nach einiger Zeit im Körper auf

Ist das Implantat einmal in den Körper eingepflanzt, so kann sich ein Teil des Materials biologisch abbauen beziehungsweise sich mit der Zeit im Körper auflösen. Nanocellulose selbst wird zwar nicht abgebaut, eignet sich aber als biokompatibles Material dennoch sehr gut als Implantat-Gerüst. „Zusätzlich machen die mechanischen Eigenschaften die Nanocellulose zu einem eleganten Kandidaten, da die winzigen, aber stabilen Fasern beispielsweise Zugkräfte sehr gut aufnehmen“, so Hausmann.

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Zudem erlaubt die Nanocellulose, Funktionen über ganz unterschiedliche chemische Modifizierungen in das zähflüssige Hydrogel einzubinden. So lassen sich Struktur, mechanische Kapazität und die Interaktion der Nanocellulose mit ihrer Umgebung je nach gewünschtem Endprodukt variieren. „Auch Wirkstoffe, die das Wachstum der Knorpelzellen begünstigen oder Gelenkentzündungen lindern, lassen sich in das Hydrogel einbauen“, sagt der Empa-Forscher. Nicht zuletzt ist der Rohstoff Cellulose das am häufigsten vorkommende natürliche Polymer auf der Erde. Die Nutzung der kristallinen Nanocellulose profitiert demnach nicht nur von der schlichten Eleganz des Verfahrens, sondern auch von der einfachen Verfügbarkeit des Rohstoffs. Das weiße Ohr aus Nanocellulose liegt glänzend auf dem Glasträger. Frisch aus dem Bioplotter entnommen, ist es bereits robust und formstabil. Hausmann kann für die künftigen Projektschritte grünes Licht geben.

3D-Druck in der Medizintechnik erfordert Fachwissen

Apropos Zukunft: Die additive Fertigung gewinnt nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Industrie immer mehr an Bedeutung. Doch gerade im medizinischen Bereich braucht es viel Fachwissen, etwa über die verwendeten Materialien, den Fertigungsprozess und die Nachbearbeitung der gedruckten Teile, die Software, die beim Design und bei der Herstellung des Implantats eingesetzt wird, sowie über den menschlichen Körper und den chirurgischen Eingriff. Hinzu kommen rechtliche Fragen, ganz zu schweigen von den Kosten einer solchen Anlage – insbesondere, da die Herstellung von Medizinprodukten validiert und entsprechend einem zertifizierten Prozess ablaufen muss. Für viele KMUs sind die Hürden daher zurzeit zu groß, sich in diese neue Welt zu wagen.

In Bettlach im Kanton Solothurn entsteht deshalb ein Zentrum für den Transfer von neuen Fertigungstechnologien für medizinische Anwendungen in die Medtech-Industrie. Das Swiss M4M Center ist kein Forschungsinstitut im eigentlichen Sinn: Es soll Forschung und Industrie zusammenführen. Unternehmen wie Forschungsinstitutionen können die Infrastruktur und Dienstleistungen des Zentrums für sich buchen und nutzen. Ende 2019 soll es den Betrieb aufnehmen.

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