Schweiz Medtech-Marktplatz Schweiz: Berge und mehr ...
„Wer hatʼs erfunden? Die Schweizer.“ Kaum jemand, der diesen alten Werbespruch nicht kennt. Auch in der Medizintechnik steht das Alpenland für Erfindungsgeist, Zuverlässigkeit, Präzision und Exportkraft.
Anbieter zum Thema

- „Swissmade“ trotzt starkem Schweizer Franken
- Weiches Silikonherz aus dem 3D-Drucker
- Sturzsensor lässt sich kontaktlos laden
- Zahlen und Fakten über die Schweizer Medtech-Branche
- Die Branchenmessen EPHJ-EPMT-SMT und Swiss Medtech Expo
Luzern, 1. Juni 2016: Mit dem Gotthard-Tunnel wird der längste Eisenbahntunnel der Welt eröffnet. Er ist 57 km lang. 17 Jahre hat der Ausbau gedauert. Der Schweizer Bundespräsident Johann Schneider-Ammann spricht denn auch von einem „Jahrhundertwerk“. Zur Eröffnung sind folglich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt angereist.
In Deutschland hingegen titelt das Nachrichtenmagazin Der Spiegel im August 2017 zum Bau des Berliner Flughafens BER: „Wie Deutschland am Bau eines Flughafens scheiterte.“ 2006 war der Spatenstich für das Flughafenprojekt erfolgt; 2011 sollte er fertiggestellt sein. Derzeit gehen Experten davon aus, dass er 2019 in Betrieb genommen werden kann. Auch andere prominente deutsche Technik-Großprojekte wie der Bau der Hamburger Elbphilharmonie oder der Bahnhof Stuttgart 21 haben in der Vergangenheit eher negative Schlagzeilen hervorgebracht. Aus deutscher Sicht ließe sich sagen: Irgendetwas läuft dort in der Schweiz anders. Oder: Die Schweizer, die können Technik.
„Swissmade“-Produkte genießen weltweit großes Ansehen
Tatsächlich genießen Labels wie „Swissmade“ oder die häufig beschworene „Swissness“ weltweit hohes Ansehen. Erarbeitet haben sich die Schweizer diesen Ruf nicht nur in Bereichen wie dem Transportwesen (gibt es weltweit ein Verkehrsmittel, das so pünktlich ist wie die Schweizer Bahn?), sondern vor allem auch in der Uhrenindustrie und – der Hightech-Branche Medizintechnik. Hierfür stehen Namen wie Depuy Synthes, Roche Diagnostics, Sonova oder Ypsomed.
Im Bereich der Ausrüster, Zulieferer und Dienstleister erweist sich die Schweiz ebenfalls als wettbewerbsfähig – auch wenn der Wechselkurs des Schweizer Frankens oder die neue EU-Medizinprodukteverordnung ihnen derzeit das Leben schwermachen. Die Schweizer selbst machen zuallererst ihr Aufgebot an qualifizierten Fachkräften für die Qualität ihrer Produkte verantwortlich. So nennt Alexander Hagemann, CEO des Elektronikdienstleisters Cicor, das „hervorragende Bildungssystem“ als ein Markenzeichen des Fertigungsstandorts Schweiz.
Die Schweizer Medtech-Branche ist stark mittelständisch geprägt
Auch Reto Rüttimann, CEO des Werkzeuglieferanten Sphinx, führt die Qualität seiner Produkte auf die Qualifikation der Schweizer Fachkräfte zurück: „Dank des dualen Ausbildungssystems verfügen wir über sehr gute, praxisorientierte Mitarbeiter“, so seine Überzeugung. Auch wenn der Kostendruck im Gesundheitswesen seit Jahren steigt – die medizinischen Bohrer und Instrumente aus dem Hause Sphinx werden trotzdem alle „zu hundert Prozent in der Schweiz hergestellt“. Das mag teurer sein als anderswo, garantiere aber strukturierte Abläufe sowie die Nutzung des hohen hausinternen Know-hows, ist Rüttimann überzeugt. Auch die Firma Cicor produziert in der Schweiz. In Zeiten, in denen selbst Marken wie Apple ihr Know-how in Kalifornien entwickeln, die Produktion der hochwertigen Geräte aber nach China verlagert haben, ist dies durchaus bemerkenswert.
Ausbildungssystem hin oder her, ähnlich wie Deutschland sieht sich die Schweiz seit einigen Jahren mit einem „sich verschärfenden Fachkräftemangel“ konfrontiert, verrät Peter Biedermann, Geschäftsführer des Branchenverbands Swiss Medtech, im Interview mit dem Portal Moneycab. Die gut 1.350 Unternehmen mit rund 54.500 Mitarbeitern sind übrigens, auch darin ähnelt die Schweizer Medtech-Branche derjenigen Deutschlands, stark mittelständisch geprägt. Anzumerken ist allerdings: Nur 22 Prozent dieser Unternehmen sind Medizintechnik-Hersteller, also Inverkehrbringer von Medizinprodukten und -geräten. Bei mehr als einem Drittel, nämlich 36 Prozent, handelt es sich um Zulieferer. Gut 25 Prozent machen Dienstleister aus. Der Rest entfällt auf Handel und Vertrieb.
Was die Beurteilung der Gesamtsituation angeht, so gibt sich Biedermann weiterhin optimistisch: „Die hiesigen Standortvorteile sind nach wie vor groß.“ In Zahlen ausgedrückt: Trotz des starken Schweizer Frankens konnte die Schweiz ihre Exporte in die beiden wichtigsten Märkte USA und Deutschland sogar steigern. Den – typisch schweizerisch – selbstbewussten Umgang mit dem Thema begründet Biedermann nicht nur technologisch sowie mit dem „(noch) guten Zugang zu hochqualifizierten Fachkräften“, sondern auch mit „erstklassigen Hochschulen und Forschungsinstituten“.
ETH Zürich: ein weiches Silikonherz aus dem 3D-Drucker
Tatsächlich können sich Institutionen wie die ETH Zürich durchaus auf ein internationales Renommee berufen. Zu diesem tragen unter anderem Forschungsprojekte wie jüngst das weiche Silikon-Kunstherz aus dem 3D-Drucker bei, das ETH-Forschende aus der Gruppe für Funktionelles Material-Engineering entwickelt haben. Das weiche Kunstherz wurde mittels 3D-Drucker aus Silikon hergestellt, wiegt 390 Gramm und hat ein Volumen von 679 cm3. Die Forscher wären keine Schweizer, hätten sie dieses Kunstherz nicht bereits auf seine Funktionsfähigkeit getestet. Sie konnten beweisen, dass es grundsätzlich funktioniert und sich sehr ähnlich bewegt wie das menschliche Vorbild. Allerdings steht es nur rund 3.000 Schläge durch, was einer Laufdauer von etwa einer halben bis einer dreiviertel Stunde entspricht. Danach versagte das Material aufgrund der Belastung. Nicholas Cohrs, ein Doktorand aus der Forschungsgruppe, erklärt: „Es handelt sich bei diesem Versuch klar um einen Machbarkeitstest. Unser Ziel war nicht, ein implantierbares Herz vorzustellen, sondern bei der Entwicklung von künstlichen Herzen in eine neue Richtung zu denken.“ Natürlich müssten noch die Reißfestigkeit des Materials und die Leistung erhöht werden.
Berner Fachhochschule: ein kleiner Sturzsensor, der sich kontaktlos laden lässt
Ein weiteres spannendes Projekt kommt aus den Reihen der Berner Fachhochschule: ein Sturzsensor mit dem sprechenden Namen Aide-moi – zu Deutsch: Hilf mir. Innovativ ist der kleine Aufpasser, weil er sich mit einem Pflaster relativ unauffällig am Körper tragen lässt. Die Batterie kann man kontaktlos innerhalb von zwei Stunden laden, sie läuft über zehn Tage. Der wasserdichte Sensor kann selbst beim Duschen getragen werden – einer Situation, in der das Sturzrisiko erhöht ist. Stürzt der Träger tatsächlich, so erkennt der Sensor den Sturz und alarmiert vordefinierte Hilfspersonen. Fortschrittlich ist das Gerät auch in Sachen Usability: Eine Home-Station gewährleistet den Empfang in Haus und Garten.
Schweizer Forschungsinstitute sind also bei den Themen, die als zukunftsträchtig gehandelt werden, vorne dabei. Dies zeigt nicht nur der 3D-Druck eines menschlichen Organs wie des Herzens. So steht Aide-moi für smarte, das heißt vernetzte, digitalisierte Sensortechnologie im Homecare-Bereich, die der seit Jahren drängenden Alterung von Industriegesellschaften Rechnung trägt.
Untermauern lässt sich die Innovationskraft von Schweizer Forschungszentren, aber auch Firmen, zum einen mit der Anzahl europäischer Patentanmeldungen im Bereich Medizintechnik: Von 12.263 Anmeldungen insgesamt im Jahr 2016 kamen 598 und damit knapp 5 Prozent aus der Schweiz. Zum anderen stecken Schweizer Medizintechnikunternehmen einen hohen Teil ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Gerade bei kleinen Unternehmen wie Start-ups liegt der Prozentsatz für F&E-Ausgaben bei sagenhaften 30 Prozent.
Medtech-Exporte trotzen dem starken Schweizer Franken
Die Schweiz steht also für „Lösungsorientierung und Innovationskraft“, so Hansjörg Riedwyl, Geschäftsführer der Firma ISS, einem Dienstleister für Software-Entwicklung, Regulatory Affairs und Clinicals. Riedwyls These: Not macht erfinderisch, oder, in seinen Worten: „Als Binnenland ist der Schweiz nichts anderes übrig geblieben, als auf Innovation und ,Brainware‘ zu setzen.“ Die Uhren- und Maschinenindustrie habe in der Schweiz ein starkes Bewusstsein für Präzision und Innovation hervorgebracht. Über den andauernden Kostendruck – der Wechselkurs habe sich in den letzten zehn Jahren um 33 Prozent zu Ungunsten der Schweizer Exportindustrie verschlechtert – sei man in der Schweiz dauerhaft gefordert, „innovativer und effizienter zu sein als andere“.
Bei Konferenzen wie der Fachtagung des Schweizer Medtech-Verbands Swiss Medtech ist Riedwyl ein gern gesehener Gast und Redner. Dort wurde zuletzt viel über die Auswirkungen der Neuregulierungen für Medizinprodukte (MDR) und In-vitro-Diagnostika (IVDR) diskutiert. Sie betreffen die Schweizer Medtech-Branche gleich zweifach: Sie muss sich zum einen wie ihre europäischen Nachbarn auf gravierende Umstellungen vorbereiten. Zum anderen gilt es, die Gesetzgebung an die EU-Vorlage anzupassen, damit die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied weiterhin den freien Warenverkehr mit ihrem wichtigsten Handelspartner aufrechterhalten kann. Doch auch an diesen Themen ist der Branchenverband Swiss Medtech dran. Er pflegt den Dialog mit Partner-Organisationen, Forschungsinstitutionen und, in diesen Zeiten besonders wichtig, Behörden sowie Politik und Wirtschaft. Über den europäischen Dachverband Medtech Europe bestehen Verbindungen nach Brüssel.
Die neue MDR trifft die Schweiz gleich zweifach
Der Druck ist hier für die Schweizer groß, denn das Exportvolumen der Medtech-Branche beträgt rund 10,6 Mrd. CHF. Zum Vergleich: Insgesamt erwirtschaftete die Schweizer Medizintechnikindustrie 2015 rund 14,1 Mrd. CHF. Damit fließt der Löwenanteil in den Export. Zwar sind die USA mit 2,6 Mrd. CHF der größte Exportmarkt. An zweiter Stelle allerdings steht bereits der europäische Exportmarkt Deutschland – dorthin geliefert wird Medizintechnik im Wert von 2,2 Mrd. CHF.
Dies veranschaulicht nicht nur, wie sehr die Schweiz auf den Nachbarn Deutschland angewiesen ist. Es macht auch deutlich, wie beliebt Produkte und Dienstleistungen aus der Schweiz in Deutschland sind. Zu den zentralen Plattformen, um Maschinenhersteller, Zulieferer und Dienstleister zu treffen, gehört die EPHJ-EPMT-SMT, eine Fachmesse, die alljährlich im Juni in Genf stattfindet. Gleichwohl Genf im französischen Landesteil liegt, kommen die knapp 300 Aussteller, die die Medizintechnik bedienen, in der Regel aus sämtlichen Sprachregionen des Landes. Überhaupt, die Vielsprachigkeit der Schweiz ist für Geschäftsbeziehungen in der Regel kein Hindernis. Im Gegenteil, vier Sprachen, nämlich Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch zu sprechen, gereicht den Schweizern eher zum Vorteil. Selten, dass man als Deutscher nicht verstanden wird, in vielen Fällen ist man in der Schweiz sogar mehrsprachig.
Wer sich dennoch sicherer fühlt, im deutschsprachigen Teil Geschäfte zu machen, dem sei die jetzt kommende Swiss Medtech Expo vom 19. bis 20. September in Luzern ans Herz gelegt. Die erworbenen Waren lassen sich zwar in absehbarer Zeit noch nicht über den Bahnhof Stuttgart 21 und aktuell auch nicht über die Rheintalbahn nach Deutschland transportieren – wohl aber seit der Inbetriebnahme am 11. Dezember 2016 durch den schweizerischen Gotthard-Tunnel.
Lesen Sie auch:
:quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1274400/1274408/original.jpg)
Swiss Medtech Expo
Erstes Xing-Gruppentreffen Medizintechnik in der Schweiz
:quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1239800/1239895/original.jpg)
Swiss Medtech Expo
Zu Medizintechnik-Innovationen inspirieren
Weitere Meldungen über die Medizintechnik-Branche finden Sie in unserem Themenkanal Szene.
(ID:44820805)