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E-Health E-Health betrifft alle

Autor Kathrin Schäfer

E-Health steht für Electronic Health und reicht weit über Medical Apps, Pflegeroboter oder die elektronische Patientenakte hinaus. Immer geht es um Informations- und Kommunikationstechnologien, die die Medizintechnik und letztlich das gesamte Gesundheitswesen verändern.

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Der Arzt im Smartphone – E-Health betrifft alle und reicht weit über Medical Apps, Pflegeroboter oder die elektronische Patientenakte hinaus. Immer geht es um Informations- und Kommunikationstechnologien, die die Medizintechnik und letztlich das gesamte Gesundheitswesen verändern.
Der Arzt im Smartphone – E-Health betrifft alle und reicht weit über Medical Apps, Pflegeroboter oder die elektronische Patientenakte hinaus. Immer geht es um Informations- und Kommunikationstechnologien, die die Medizintechnik und letztlich das gesamte Gesundheitswesen verändern.
(Bild: Copyright (C) Andrey Popov - adobe.stock.com)
  • Nicht nur Patienten sind von E-Health betroffen
  • Anwendungsbeispiele: Medical Apps und Roboter
  • Enormer Entwicklungsbedarf bei der deutschen Medizintechnik

Digital Health, Telemedizin, E-Health – es kursieren eine Menge Begriffe, die beschreiben, dass das Gesundheitswesen des 21. Jahrhunderts digitalisiert wird. Sie alle meinen jedoch das gleiche: Die Medizin und damit die Medizintechnik, wie wir sie heute kennen, wird es in dieser Form bald nicht mehr geben. Der Grund: Informations- und Kommunikationstechnologien halten in alle Bereiche des Gesundheitswesens Einzug. Sie verändern die Erhebung und Verwaltung von Gesundheitsdaten und im gleichen Zuge die Diagnose, Therapie, Überwachung und Pflege von Patienten. Die Veränderung betrifft deshalb Patienten, Krankenkassen, medizinisches Personal, Kranken- und Pflegeeinrichtungen sowie die Medizintechnikbranche – alle, die irgendetwas mit dem Thema Medizin zu tun haben. Mehr noch, sie betrifft auch diejenigen, die sich gar nicht unter dem Begriff Patient fassen lassen, weil sie lediglich eine Smartwatch tragen, die rund um die Uhr ihre Vitaldaten misst.

Man kann also von einer regelrechten Revolution des Gesundheitswesens sprechen. Denn E-Health betrifft jeden. Und bezieht ganz neue Player in das Gesundheitswesen mit ein: Firmen wie Apple, die keine traditionellen Medizintechnikunternehmen sind, doch mit ihren Health-Kits medizinische Daten an die Gesundheitskarte senden, welche dann wiederum Ärzten oder Krankenhäusern zur Verfügung gestellt werden können. „Vernetzung“ ist hier laut Prof. Dr. Arno Elmer, Professor an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management sowie Geschäftsführer bei Innovation Health Partners und Better@Home Service, das zentrale Stichwort. Er gehört zu den Referenten der Medtech-Vertriebskonferenz, die der Bundesverband Medizintechnologie BV-Med am 19. September in Düsseldorf organisiert hat. Sein Vortrag erinnert Medizintechnik­unternehmen daran, dass branchenfremde Hightech-Unternehmen für Medizintechnikunternehmen inzwischen eine ernsthafte Konkurrenz darstellen.

Digitalisierung und E-Health betreffen einfach jeden

Denn Amazon ist in Sachen Logistik unschlagbar, vertreibt bereits exklusiv Medizingeräte, erwirbt Internet-Apotheken und gründet sogar Versicherungsunternehmen. Google wiederum verfügt über Daten und baut derzeit Cloud-Infrastrukturen auf. Das soziale Netzwerk Facebook ist im Bereich Gesichtserkennung und Künstliche Intelligenz schon seit Längerem aktiv. Social Media wird damit für Diagnose, Prävention und Therapie genutzt.

Vernetzt werden also nicht nur Medizingeräte oder medizinische Einrichtungen untereinander, vernetzt, das heißt miteinander verbunden werden auf einmal auch Akteure, die bislang wenig bis gar nichts mit dem Gesundheitswesen zu tun hatten. Vernetzt mit dem Gesundheitswesen werden auf einmal auch ganze Bereiche: Die Konsum- und Logistikbranche, wenn man bei dem Beispiel Amazon bleibt. Oder soziale Medien, wenn man Facebook in Betracht zieht.

Bei den meisten Medtech-Anwendungen werden im großen Stil Daten erhoben (Stichwort Big Data), auf einem möglichst sicheren Weg ausgetauscht und ausgewertet (Stichwort Cybersecurity) und zur Optimierung oder auch Betreuung von Patienten eingesetzt. Was hier erst einmal ziemlich abstrakt klingt, wird leicht verständlich, wenn man sich aktuelle E-Health-Projekte vor Augen führt: Da ist zum einen die in Deutschland vieldiskutierte elektronische Patientenakte. „Wir können aus der elektronischen Patientenakte entnehmen, unter welchen Begleiterkrankungen Patienten leiden, und Befunde wie Röntgenbilder oder Laborberichte direkt einsehen. Dadurch ist es möglich, diese Befunde bei der Diagnose und Behandlung zu berücksichtigen. Auch belastende Doppel- und Mehrfachuntersuchungen lassen sich so vermeiden und Therapien besser organisieren“, nennt Dr. med. Thomas Möller, Präsident des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie 2019, die Vorteile und beendet sein Plädoyer mit der Einschätzung: „Sie wäre ein großer Schritt sowohl für die interdisziplinäre als auch für die stationäre und ambulante Vernetzung.“

E-Health vernetzt die Akteure des Gesundheitswesens miteinander

Ein weiteres Anwendungsbeispiel sind, wie bereits erwähnt, Medical Apps. Diese gibt es mittlerweile zu Tausenden in jedem App Store. Doch bei den wenigsten handelt es sich um zertifizierte Medizinprodukte. Anders Mineo: Das App-basierte Trainingsprogramm für zu Hause vernetzt tatsächlich Patienten und Ärzte miteinander. Letztere sind diejenigen, die das Training individuell für ihre Patienten zusammenstellen. Mineo ist nicht nur deshalb ein gutes Beispiel dafür, was E-Health sein kann, weil sich die Entwickler die Mühe gemacht haben, ihre App als Medizinprodukt CE-zertifizieren zu lassen. Sie zeigt, wo E-Health-Projekte derzeit in Deutschland stehen: Erst vor Kurzem hat die AOK Niedersachsen mit dem Entwickler und E-Health-Start-up Temedica ein Modellprojekt gestartet, für das sich Ärzte einschreiben können.

Weitere typische Anwendungsbeispiele für E-Health sind Roboter, die in der Pflege eingesetzt werden, 3D-gedruckte Implantate, die auf den Daten von Patienten beruhen, oder auch die Versorgung von Patienten über eine längere räumliche Distanz hinweg, die sogenannte Telemedizin. So weit, so gut. Doch so spannend und innovativ diese Projekte klingen – bei genauerem Hinsehen fällt auf: Die meisten E-Health-Projekte stecken noch in den Kinderschuhen. Erst ab 1. Januar 2021 müssen Krankenkassen Versicherten eine elektronische Patientenakte zur Verfügung stellen. Die App Mineo befindet sich noch im Status eines Pilotprojekts. Und Pflegeroboter begegnen einem in deutschen Pflegeeinrichtungen bislang eher selten. Mit anderen Worten: Die (deutsche) Gesundheitsbranche hat noch enormen Handlungs- und Entwicklungsbedarf bei Digitalisierung und E-Health.

Diese These unterstützt eine Studie des Branchennetzwerks Healthcare Frauen. Die Studie „Dig-In Digitaler Healthcare Index 2019“ basiert auf einer bundesweiten Online-Befragung von Branchenführungskräften zu den Auswirkungen der Digitalisierung. Einen Schwerpunkt bildet dabei der digitale Reifegrad von Healthcare-Unternehmen. So zählen gerade einmal 5 Prozent der befragten Führungskräfte ihr Unternehmen zu den „Digital Leaders“. 25 Prozent von ihnen betrachten ihren Arbeitgeber als „Digital Transformer“. Den größten Anteil macht mit 41 Prozent die Gruppe aus, die ihr Unternehmen als „Digital Follower“ einstuft, gefolgt von „Digital Beginners“ mit 26 Prozent.

Buchtipp Das Fachbuch „Cybersicherheit" führt grundlegend und praxisnah an die Einrichtung von Schutzmaßnahmen in produzierenden Unternehmen heran. Dabei werden bewusst neue digitale Entwicklungen, wie die Vernetzung industrieller Maschinen und Anlagen durch Industrie-4.0-Technologien, adressiert. „Cybersicherheit“ kann hier versandkostenfrei oder als E-Book bestellt werden.

„Die Gesundheitsbranche hat bei der Digitalisierung noch viel Luft nach oben“, diagnostiziert deshalb wenig überraschend Emily Andreae, Head of Business Development Health beim IT-Dienstleister Adesso und Projektleiterin der Studie. Anlass zum Pessimismus sieht die Medizinökonomin deshalb aber nicht. „Das Thema ist im Bewusstsein der Verantwortlichen inzwischen angekommen und sie wissen, dass sie etwas ändern müssen. Ein Grund dafür ist nicht zuletzt, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens in den aktuellen Gesetzgebungsverfahren im Bundesministerium für Gesundheit höchste Priorität hat.“

Letzteres ist auch auf dem ersten Digital-Talk des BV-Med im Sommer spürbar. Mit dem neuen Ansatz für digitale Medizinprodukte nach dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) „wollen wir jetzt schnell Erfahrungen sammeln und die Patientenversorgung verbessern“, sagt Prof. Dr. Jörg Debatin, Leiter des neuen „Health Innovation Hub“ des Bundesgesundheitsministeriums, zum Thema „Digitale Medizinprodukte in der Gesundheitsversorgung – Schicksalsjahr 2020?“ im Helix Hub in Berlin. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte im April 2019 den Health Innovation Hub unter der Leitung von Debatin ins Leben gerufen, um aktiv in der Digital-Szene nach neuen Ideen und Lösungen zu suchen und damit die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Der ehemalige Chef des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) hatte das Klinikum in seiner Zeit als Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender konsequent digitalisiert. Doch der Wunsch nach digitaler Transformation und die Realität in Deutschland fallen auseinander. Das meint jedenfalls Hans-Peter Bursig, Geschäftsführer Fachverband Elektromedizinische Technik im ZVEI: „Der Entwurf des DVG enthält erste wichtige Schritte, um die digitale Gesundheit erfolgreich voranzubringen. Weitere wichtige Schritte aber fehlen noch. Nicht zuletzt ein E-Health-Zielbild mit einer klaren Strategie, wie Deutschland zum Spitzenreiter aufsteigen kann.“ Deutschland stehe bei der digitalen Transformation der Gesundheitswirtschaft im internationalen Vergleich hinten.

Die deutsche Medizintechnik hat noch enormen Entwicklungsbedarf

Glaubt man Studienleiterin Andreae, so liegt der Grund für den mangelnden Fortschritt nicht alleine bei den politisch Verantwortlichen: „Die digitale Transformation ist nichts, was Unternehmen der Gesundheitsbranche einfach im Vorbeigehen erledigen können. Es steckt viel mehr dahinter als nur das Aufsetzen eines neuen Projekts oder die Gründung einer neuen Abteilung“, sagt sie. „Auf dem Weg zur ‚Digitalen Meisterschaft‘ geht es vielmehr um grundlegende Fragen der unternehmerischen Orientierung und um das Beschreiten neuer Wege.“

Es klingt also nach einer Menge Arbeit. Diese Einschätzung teilt Prof. Dr. med. Mathias Goyen, Chief Medical Officer Europe beim Medizintechnik­riesen GE Healthcare. In einem Gastbeitrag der Online-Plattform Big-Data-Insider schreibt er: „Digitalisierung in der Medizin ist eine Herausforderung.“ Und hält im gleichen Zug entgegen: „Doch wer kann eigentlich wirklich von der Digitalisierung in der Medizin profitieren? Die Antwort lautet ganz klar: alle Beteiligten.“

Goyen zieht daraus den einzig möglichen Schluss: „Das gesamte Gesundheitswesen muss sich endlich wirklich ernsthaft mit der Digitalisierung auseinandersetzen. Sie müssen Wissen darüber aufbauen, wie die Digitalisierung ihnen helfen kann und was sie dafür tun müssen, um davon wirklich Nutzen zu haben. Natürlich müssen sie sich auch mit den möglichen Gefahren, wie beispielsweise beim Umgang mit sensiblen Daten, auseinandersetzen. Wichtig ist hier, dass die Angst vor der Digitalisierung abgebaut wird und durch einen sinnvollen und gekonnten Umgang ersetzt wird.“

Womit er das Thema Cybersecurity in den Blickpunkt gerückt hat. Denn wer über Vernetzung sowie das Sammeln und Auswerten von Daten im Gesundheitswesen spricht, kommt nicht umhin, sich auch mit Datensicherheit auseinanderzusetzen. Skandale um Hackerangriffe und Datenlecks sind längst keine Einzelfälle mehr. Erst im September berichtet die Tagesschau über einen aktuellen Fall. Demnach waren laut Recherchen des Bayerischen Rundfunks sowie der US-Investigativplattform Pro-Publica überaus sensible medizinische Daten, auch von Patienten aus Deutschland, auf ungesicherten Servern gelandet.

Umso wichtiger ist das Thema Sicherheit im besonders brisanten Kontext der digitalen Patientenakte. DKOU-Kongresspräsident Möller fordert: „Eine entsprechende Akte sollte vollständig, nicht manipulierbar und sicher sein.“ Internationale Fälle von Datenraub hätten gezeigt, wie vulnerabel die Datensicherheit sei, weiß auch er. Derzeit gäbe es in Deutschland jedoch keine Notfallstrategie gegen Datenraub, Datenlecks und Datenmissbrauch.

Dennoch – kein Grund, in Panik zu verfallen. Weder beim Thema Datensicherheit noch beim Thema Unternehmenstransformation. Dies wurde ebenfalls deutlich auf der Medtech-Vertriebskonferenz des BV-Med. Auch wenn das Thema nicht einfach zu handhaben ist, wie der Vortrag von Frank Lucaßen, verantwortlich für Zentral- und Nordeuropa bei Fresenius Kabi und BV-Med-Vorstandsmitglied, zeigte. Die Digitalisierung ist für Fresenius Kabi als Global Player mit mehr als 6,5 Mrd. Euro Umsatz und rund 38.000 Beschäftigten eine große Herausforderung, „aber wir müssen nicht in Panik verfallen“.

Für Medizintechnikfirmen gehe es um kontinuierliche Evolution und Transformation der Produkte und Services durch technologischen Fortschritt, aber nicht um Revolution oder die neue, disruptive digitale Lösung. „Wir reden über die kontinuierliche Weiterentwicklung und Verbesserung unserer Produkte mit Geschwindigkeit und Agilität, aber unter Wahrung der Unternehmenskultur und Mitnahme der Beschäftigten“, ist Lucaßen überzeugt. Der Normalfall sei die Transformation, nicht die Disruption.

Globale Player sind Vorreiter, KMU müssen jetzt agieren

Also doch kein Grund zur Sorge? Dr. Peter Langkafel ist Geschäftsführer der Digital Health Factory. Auf der Vertriebskonferenz des BV-Med gibt er sich begeistert von dem, was sich aktuell tut: „Es bewegt sich derzeit eine ganze Menge, wir kommen bei dem Thema endlich dynamisch voran.“ Die Karten für die digitale Medizin würden gerade global gemischt. Das Problem sei, dass in den USA und China sehr viel größere Geldsummen in die Entwicklung von Lösungen gesteckt werden als in Europa. Deshalb müsse man in Deutschland auch über neue Finanzierungsmodelle für digitale Gesundheitslösungen reden.

Deutschland hängt also in Sachen E-Health noch hinterher. Doch die Politik hat verstanden, dass sie dringend die Rahmenbedingungen für ein gutes Gelingen schaffen muss. Branchenriesen wie GE und Fresenius sind bereits auf den Digitalisierungszug aufgesprungen und nehmen eine Vorreiterrolle, und im Idealfall sogar eine Vorbildfunktion ein. Für die stark mittelständisch geprägte Medtech-Branche Deutschlands ist es höchste Zeit, sich mit der Digitalisierung ihrer Produkte auseinanderzusetzen. Verschläft sie diese Transformation, werden E-Health und Digitalisierung für sie zu einer ernsten Bedrohung. Springt sie auf den Zug auf, ist es ihr Sprungbrett hin ins Gesundheitswesen des 21. Jahrhunderts.

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