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Wearables Das trägt man heute

Autor Kathrin Schäfer |

Wearables, das ist der knackige, kurze Name für Produkte, die man in korrektem Deutsch etwas sperrig als tragbare Computersysteme bezeichnen würde. Im Englischen ist es die Kurzform von Wearable Computing, einer Technologie, die die Medizintechnik revolutionieren kann.

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Wearables, das sind kleine, mobile Computersysteme, die von ihren Benutzern am Körper getragen werden.
Wearables, das sind kleine, mobile Computersysteme, die von ihren Benutzern am Körper getragen werden.
(Bild: © vege / Fotolia.com_[M]-Herkersdorf)

Wearables, das sind kleine, mobile Computersysteme, die von ihren Benutzern am Körper getragen werden und sie in ihrem Alltag unterstützen. Auch wenn es überraschen mag: Folgt man dieser Definition, kann man ihre Erfindung bereits ins 15. Jahrhundert zurückdatieren. „Es gab vor Jahrhunderten schon Taschenuhren oder den Abakus als Rechenhilfe“, sagt denn auch Prof. Dr. David Matusiewicz, Inhaber des Lehrstuhls für Gesundheitsmanagement an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management in Essen. Und: „Gebremst wurde auch damals schon“, will meinen, Skeptiker gegenüber neuen Technologien gab und gibt es zu allen Zeiten. Etwas weniger spektakulär ist die Erkenntnis, dass gemäß Definition auch Hörgeräte zu den Wearables zählen, auch wenn sie von Herstellern nicht unbedingt so genannt werden. Warum also, mag man sich fragen, ist in jüngster Zeit so ein großer Hype um Wearables entstanden?

Tragbare „Computersysteme“ gibt es schon im 15. Jahrhundert

Das revolutionär Neue an den Wearables unserer Zeit ist, dass diese mittels Sensortechnik permanent und mobil Vitaldaten messen können. Außerdem kann diese Sensortechnik nicht nur via Smartwatch am Körper getragen werden, sondern in Kleidungsstücke wie T-Shirts oder Strümpfe eingearbeitet werden. Was diese Anwendungen leisten können, wird schnell an einem konkreten Beispiel deutlich: Rund sechs Millionen Menschen leiden heute in Deutschland unter Diabetes mellitus, so das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung. Die Vereinten Nationen schätzen, dass sich die Zahl der weltweit Erkrankten bis 2040 veranderthalbfacht.

Weil Diabetiker krankhafte Veränderungen an den Füßen schwer wahrnehmen, kann es im schlimmsten Fall zu Amputationen kommen. Das ist nicht nur schmerzhaft, sondern auch ein massiver Eingriff in deren Leben(squalität) und teuer für das Gesundheitssystem. Intelligente Einlegesohlen wie die der Firma Thorsis Technologies können heute die Druck- und Temperaturverteilung am Fuß kontinuierlich überwachen. Nicht nur Fehlbelastungen decken diese Wearables auf, sondern auch Entzündungen, die auf Geschwüre hinweisen. Die Einlegesohlen können mit verschiedenen Nutzerinterfaces zur Anzeige der erfassten Biosignale verbunden werden. Was hier deutlich wird: Das Thema Wearables ist technisch häufig mit dem Thema Medical Apps verknüpft. Denn die in der Sohle generierten Ereignisse werden gerne mittels Bluetooth Low Energy übertragen.

Das zweite große Thema unseres Gesundheitssystems sind heute Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das Bundesforschungsministerium nennt sie die häufigste Todesursache in Industrienationen. Besonders in Regionen mit Ärztemangel gestaltet es sich oft schwierig, Vitalparameter von Patienten regelmäßig zu überprüfen, um beispielsweise Schlaganfällen vorzubeugen. Der Kardiogurt, ebenfalls ein Produkt aus dem Hause Thorsis Technologies, kann biologische Messgrößen wie Herzrhythmus, Atemfrequenz, Thorax-Gewebekomposition und Bewegungsaktivität aufnehmen. Sensoren ermitteln die Temperaturverteilung entlang der Gurtfläche. Und auch dieses Wearable kann über Bluetooth mit einer App zur Auswertung oder Anzeige verbunden werden.

Bei beiden Systemen, beiden Wearables, geht es darum, Frühwarnsysteme zu installieren für den Fall, dass Patienten krankhafte Veränderungen an ihrem Körper grundsätzlich nicht (Beispiel Herzkreislauf) beziehungsweise nicht mehr (Beispiel Diabetes-Fuß) wahrnehmen können. Die Möglichkeiten und Grenzen dieser Technologie benennt Dr. Peter Fey von der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner, die sich unter anderem auf Fragen der Gesundheitswirtschaft spezialisiert hat: „Zwar können Wearables den Besuch beim Arzt nicht ersetzen, allerdings wird die Integration und Nutzung der gesammelten Daten zur Unterstützung des Mediziners auch im Hinblick auf den zunehmenden Versorgungsmangel immer attraktiver.“ Natürlich setzt dieser Nutzen auch die Bereitschaft der Patienten voraus, die Technologie zu nutzen. Doch auch das scheint kein Problem zu sein, wenn man Feys Kollegin Dagmar Hebenstreit glauben darf. Vielmehr werde die Nutzung der offenkundig bereitwillig gesammelten Daten von Patienten regelrecht eingefordert: „Diese Entwicklung ist eine Reaktion auf den zunehmenden Wunsch nach Selbstbestimmung. Idealerweise lassen sich zukünftig gesundheitsrelevante Informationen sammeln, mittels App auf einem Dashboard betrachten und intuitiv verstehen. Dieses Patient-Empowerment passt sich der von Mobilität und Datenverfügbarkeit geprägten Lebenswelt an: Gesundheitsdaten sollen künftig standortunabhängig verfügbar und immer aktuell sein.“

Wearables können Volkskrankheiten vorbeugen oder Folgen minimieren

Dass Wearables von weiten Teilen der Bevölkerung so gut akzeptiert werden, liegt zum einen daran, dass sie sich im Fitnessbereich bereits großer Beliebtheit erfreuen. Die eigenen Gesundheitsdaten dann auch für medizinische Zwecke zu messen beziehungsweise zur Verfügung zu stellen, ist da nur noch ein kleiner Schritt. Dennoch, gerade in Deutschland ist Datenschutz ein hohes Gut. Ungeachtet dessen belegt eine Studie von CCS Insight: „Bereits 2018 sollen mehr als 350 Millionen Konsumenten Wearables nutzen.“

Die Akzeptanz digitaler Gesundheitsprodukte ist die eine, die technische Umsetzung die andere Voraussetzung. Jabil Circuit, Inc., Spezialist für intelligente Produktions- und Entwicklungsservices, hat im Dezember 2015 zusammen mit seinem Tochterunternehmen Clothing+ das Referenzdesign Peak+ vorgestellt. Es ermöglicht Unternehmen bei der Produktion von Textilien, in die ein Herzfrequenz-Messgerät integriert werden soll, schneller vom Prototyp in die Produktion überzugehen. Partner von Jabil und Clothing+ bei der Entwicklung waren Suunto, ein Hersteller von Herzfrequenz-Messgeräten, sowie Firstbeat, ein Anbieter von physiologischen Analysen für Sport, Fitness und Wellness.

„Textilien mit integriertem Herzfrequenz-Messgerät herzustellen ist eine große Herausforderung, da steckt viel Know-how dahinter. Es hat etwas von einem Puzzlespiel, bei dem verschiedene Hersteller Teile zu einem Gesamtwerk zusammenfügen“, weiß John Dargan, Senior Vice President bei Jabil. Im Fall von Peak+ sieht das Puzzle so aus: Clothing+ ist Spezialist für E-Textilien. Die Elektronik wird so unauffällig in die Kleidung integriert, dass für angenehmen Tragekomfort sowie hohe Strapazierfähigkeit gesorgt ist. Clothing+ hat Top-Marken wie Adidas, Garmin, Salomon und Philips dabei unterstützt, mit intelligenten Textilprodukten auf den Markt zu kommen. Kabellose Transmitter von Suunto übertragen die Herzfrequenz-Messdaten präzise und direkt von dem E-Textil an eine Smartphone-App. Die patentierte Analytik der Herzfrequenz-Messdaten von Firstbeat sorgt wiederum für genaue und gut verwertbare Rückmeldungen, zum Beispiel zu den Auswirkungen sportlicher Aktivitäten, von Stress-Situationen oder auch im Erholungszustand. Jabil bringt dabei seine Expertise als Spezialist für intelligente Produktions- und Entwicklungsservices ein und ist somit auch für die Entwicklung hocheffizienter Produktionsabläufe ein Partner.

Shirts mit eingebauten Elektroden, die den Herzschlag messen. Socken, die dafür sorgen, dass die Fußstellung stimmt. „Elektronische Mode“ ist jedoch nicht das einzige, was Erfolg verspricht: Besonders großes Potenzial sehen Experten und Unternehmen, die den Einsatz von Wearables bereits testen, in den sogenannten Smart Glasses. Die intelligenten Brillen können über das Internet miteinander kommunizieren und dem Träger schnell und unkompliziert Informationen zu einem aktuellen Arbeitsgegenstand liefern. Besonders in Kombination mit Augmented Reality entfalten die kleinen Geräte ihr Potenzial: Hierfür ergänzen die Brillen Informationen aus dem Internet und integrieren diese in das Sichtfeld des Trägers. So wird der Arbeitsalltag nicht nur leichter, sondern auch sicherer und deutlich effizienter. Im medizinischen Kontext sind Datenbrillen denkbar, die, von Ärzte getragen, Patientendaten einspielen.

Die vernetzte Smartwatch, sie ist möglicherweise das zurzeit am weitesten verbreitete Wearable, wenn auch bislang hauptsächlich im Consumer-Bereich. Jenseits der Medizintechnik stellen Wearables ein großes Potenzial dar – der Markt soll in den nächsten fünf Jahren im Schnitt jeweils um 35 Prozent pro Jahr wachsen. Der TÜV Süd bietet unter anderem die Prüfung der Batteriesicherheit und -lebensdauer, chemische Tests für Hautfreundlichkeit des Produkts, der Funkfrequenz von mobilen Geräten oder der spezifischen Absorptionsrate (SAR) an. Außerdem führt das Unternehmen die Prüfung von mobilen Anwendungen und Biokompatibilitätstests bei den teilweise rund um die Uhr getragenen Wearables durch.

Nicht zu vernachlässigen ist natürlich die Sensortechnik. Der Elektronikspezialist Maxim Inte- grated wirbt derzeit für ein Sensormodul mit kleinen Abmessungen, einem einfachen Design und verspricht hierbei kurze Markteinführungszeiten. Das integrierte Pulsoximeter- und Herzfrequenz-Messmodul mit dem Markennamen MAX30102 stelle eine stromsparende, komplette Systemlösung dar, die das Design-in für Mobil- und Wearable-Produkte vereinfache. Grundsätzlich müssen Hersteller von Wearables, die Medizinprodukte sind, darauf achten, dass sowohl die Wearables selbst als auch deren einzelne Komponenten entsprechend zugelassen und zertifiziert sind.

Elektronische Mode hat ihren Siegeszug bereits angetreten

Ob Wearables Medizinprodukte sind oder nicht, hängt davon ab, ob sie für den Einsatz am Menschen entworfen wurden und ob sie zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken eingesetzt werden und damit unter die Europäische Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EWG fallen (MDD).

Je nachdem, was sie leisten sollen, könnten neben der MDD auch andere Richtlinien wie beispielsweise die 90/385/EEC Active Implantable Medical Devices Directive (AIMDD) oder die Richtlinie 98/79/EC für In vitro diagnostic Medical Devices (IVD) anwendbar sein. Neben internationalen und europäischen Normen können auch nationale Gesetze wie das Bundesdatenschutzgesetz greifen, weiß Dr. Markus Siebert, Produktspezialist für Aktive Medizinprodukte beim TÜV Süd Product Service.

Somit sind Wearables tatsächlich keine neue, aber eine in ihrer heutigen, digitalisierten Erscheinung durchaus revolutionäre Technologie. Wahrscheinlich ist, dass die dauerhafte Aufzeichnung und Bewertung medizinischer Daten die Arbeit von Ärzten nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen wird. Wie groß das ihr zugeschriebene, präventive Potenzial in der Praxis ist – ob Wearables also Schlaganfälle und ähnliches verhindern können, weil Risikofaktoren frühzeitig erkannt werden –, diese Frage wird man wohl erst in einigen Jahren beantworten können.

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