France

Bridts Corporate Finance America first: Mergers & Acquisitions in der Medizintechnik (Teil 11): M&A im 1. Halbjahr 2019

Autor / Redakteur: Dr. Christian Bridts* / Peter Reinhardt

Gleichermaßen für Käufer wie für Anbieter gibt es aktuell viele gute Gründe für Mergers & Acquisitions. Doch eher überraschend fällt in der D/A/CH-Region die relativ geringe Zahl von Transaktionen im Kernbereich der Hersteller von Medizintechnik und Medizinprodukten im ersten Halbjahr 2019 auf. Ganz anders in den USA.

Anbieter zum Thema

Amerikanische Medtech-Firmen brennen derzeit ein Feuerwerk an Transaktionen ab, um sich strategisch im Markt zu positionieren. Die Firmen der D/A/CH-Region sind dagegen nur verhalten aktiv.
Amerikanische Medtech-Firmen brennen derzeit ein Feuerwerk an Transaktionen ab, um sich strategisch im Markt zu positionieren. Die Firmen der D/A/CH-Region sind dagegen nur verhalten aktiv.
(Bild: gemeinfrei / CC0 )

Ähnlich wie im vorhergehenden Halbjahr präsentiert sich die Transaktionsneigung in der D/A/CH-Region eher verhalten. Dagegen arbeiten die großen internationalen, insbesondere US-amerikanischen Akteure unbeirrt an der Ausrichtung ihrer Portfolios durch M&As.

3M tätigt die größten Transaktionen

Wertmäßig führt im ersten Halbjahr 2019 der amerikanische Mischkonzern 3M mit dem 6,7 Mrd. US-Dollar (Enterprise Value) schweren Erwerb von Acelity die Rangliste der Transaktionen an. Acelity war zuletzt im Portfolio von Finanzinvestoren (u.a. APAX) und erzielte 2018 mit Produkten zur chirurgischen Wundversorgung einen Umsatz von rund 1,5 Mrd. US-Dollar. Dieser kann fortan zum Geschäftsvolumen addiert werden, das 3M bereits seit langem in seiner Division Medical Solutions erwirtschaftet, auch mit Produkten der Wundversorgung. Nur ein Quartal zuvor hatte 3M bereits für rund eine Milliarde US-Dollar M*Modal übernommen, ein Unternehmen, das AI- und Cloud-unterstützte Health-IT-Systeme entwickelt, die unter anderem zur Spracherkennung eingesetzt werden.

Dr. Christian Bridts, Geschäftsführer von Bridts Corporate Finance: „Insgesamt fällt hierzulande die relative geringe Zahl von Transaktionen im Kernbereich der Hersteller von Medizintechnik und Medizinprodukten auf.“
Dr. Christian Bridts, Geschäftsführer von Bridts Corporate Finance: „Insgesamt fällt hierzulande die relative geringe Zahl von Transaktionen im Kernbereich der Hersteller von Medizintechnik und Medizinprodukten auf.“
(Bild: Bridts Corporate Finance)

Mit die größte Akquisition leistete sich zuletzt der französische Softwarespezialist Dassault Systèmes, der für 5,8 Mrd. US-Dollar die amerikanische Medidata Solution übernahm. 2018 hatte Medidata mit softwarebasierten Researchlösungen für die Entwicklung personalisierter Therapien 636 Mio. US-Dollar umgesetzt. Für Dassault ist dieses Investment ein weiterer Schritt auf dem Weg, neben der Software-Entwicklung auch eine führende Position als Life-Science-Anbieter an der Schnittstelle zwischen Health-IT und personalisierten Therapien einzunehmen.

Große Invetitionen in die strategische Neuausrichtung

Weiterhin sehr aktiv an seiner Neuausrichtung arbeitet auch Johnson & Johnson (J&J). Für 3,4 Mrd. US-Dollar, die sich bei Erreichen bestimmter Meilensteine sogar um weitere 2,35 Mrd. US-Dollar erhöhen können, sicherte sich der Medizintechnikkonzern mit Auris Health einen Hersteller von Systemen für Robotic Surgery. Bemerkenswert ist dabei, dass Auris in der letzten Finanzierungsrunde nur mit rund 2,1 Mrd. US-Dollar bewertet wurde. Durch einen Verkauf an Fortive hat sich J&J dagegen von seiner bei Ethicon angesiedelten Division Advanced Sterilization Products getrennt und mit einem Verkaufserlös von 2,8 Mrd. US-Dollar einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung des Auris-Deals gesichert. J&J-Ethicon wiederum hat sein Woundcare-Geschäft mit dem Zukauf des Bereichs Tachosil von Takeda für 400 Mio. US-Dollar gestärkt.

Ergänzendes zum Thema
Strategische Bedeutung von M&As

Mergers & Acquisitions (M&As) zählen nicht unbedingt zum unternehmerischen Alltag. Auf den ersten Blick stellen sie zudem nur für die involvierten Unternehmen entscheidende Weichenstellungen dar, die dort mit Vorbereitung und Nachwehen häufig mehrere Geschäftsjahre prägen. Häufig beeinflussen sie durch ihre Auswirkungen aber auch die Struktur ganzer Branchensegmente und bringen dadurch auch für nicht direkt beteiligte Unternehmen wesentliche Veränderungen mit sich. So ist der aufmerksame Blick auf das Transaktionsgeschehen stets auch wichtiger Bestandteil der strategischen Umfeldanalyse.

Auch Boston Scientific (BS) überarbeitet und erweitert weiterhin sein Portfolio. Zum Jahreswechsel – und damit nur kurz nach der Großakquisition von BTG – zog BS die Option zum Erwerb von Millipede, einem Spezialisten für niedrig-invasive Kardiologielösungen, für 450 Mio. US-Dollar. Kurz darauf kündigte BS die Übernahme von Vertiflex an. Für 465 Mio. US-Dollar bekommt BS hierdurch Zugriff auf einen Hersteller von Geräten zur minimal-invasiven Behandlung von Wirbelsäulen-Stenosen und baut seine Division Pain Management aus. Für 90 Mio. US-Dollar hat BS andererseits Aktivitäten im Bereich der interventionellen Onkologie an Varian abgegeben.

Neben J&J hat auch Medtronic investiert, um ein integriertes Lösungssystem für roboterunterstützte Eingriffe, zum Beispiel an der Wirbelsäule, anbieten zu können. 1,7 Mrd. US-Dollar hat sich Medtronic den Erwerb der israelischen Mazor Robotics kosten lassen, die maßgeblich im Bereich Robotic Surgery tätig sind.

In Europa erregen S&N und Sanofi Aufsehen

Mit Smith & Nephew (S&N) versucht zumindest ein europäischer Anbieter, den führenden Akteuren aus den USA, allen voran J&J, mit der Übernahme von Osiris Therapeutics für immerhin 660 Mio. US-Dollar Paroli zu bieten. Osiris ist ein Spezialist für Produkte der regenerativen Medizin, der sich unter anderem auf Haut- und Knochengewebe konzentriert. Die Übernahme rundet das Angebot von S&N im Bereich Woundcare ab.

Aufsehen erregte zuletzt auch die Ankündigung, dass sich Sanofi und Google zusammentun wollen, um in einem virtuellen Healthcare-Innovationslabor ihre jeweiligen Stärken zu bündeln. Vor allem durch den umfassenden Einsatz von Datenanalyse (deep analytics) und fortgeschrittenen Informationstechnologien sollen gezielt neue Wege der besseren Medikation und Gesundheitsversorgung gefunden werden. Nicht allen ähnlichen Initiativen in diesem Bereich war bislang Erfolg und ein langfristiger Impuls beschieden, so dass es spannend zu beobachten sein wird, inwieweit dieser Ansatz die Erwartungen erfüllt.

Treiber für Top-Transaktionen

In Summe betrachtet lesen sich die Themen der genannten internationalen Top-Transaktionen wie eine Stichwortsammlung der beherrschenden Treiber im Umfeld der Medizintechnik:

  • personalisierte Medizin
  • Robotik
  • Künstliche Intelligenz
  • Health-IT
  • Woundcare/regenerative Medizin

Mit Abstrichen in der Intensität und in deutlich überschaubareren Dimensionen zeigen sich einige dieser Treiber auch im Transaktionsgeschehen der erweiterten D/A/CH-Region – häufig eher im Startup-Umfeld. Hier bleibt Philips akquisitiv und erwirbt mit dem Carve-Out von Carestreams Healthcare Informatics Division einen Geschäftsbereich im Bereich Health-IT, der mit 900 Mitarbeitern Imaging-Lösungen unter anderem für die Radiologie entwickelt.

Die Brainlab AG übernimmt derweil mit Medineering ein Start-up im Surgical-Robotics-Bereich. Mit der Medineering-Plattform sollen Operationen jeglicher Art durch mechatronische Assistenz (Roboter-Arm) unterstützt werden.

Venture Capital finanziert Übernahmen und Wachstum

In der größten VC-Transaktion (Venture Capital) der ersten Jahreshälfte 2019 hat die deutsch-französische Doctolib, die ein Portal zur Verbesserung der Effizienz und des Services von Gesundheitseinrichtungen betreibt, in der zweiten Finanzierungsrunde 150 Mio. Euro eingeworben und überschreitet damit bei der Unternehmensbewertung die Schwelle von einer Milliarde Euro. Mit dem neuen Kapital will Doctolib nun auch in die Telemedizin expandieren.

Sowohl Doctolib als auch Medineering stehen stellvertretend für eine weiterhin rege Aktivität bei Wachstumsfinanzierungen oder Übernahmen von Start-up-Unternehmen, die in der Hälfte der relevanten Transaktionen eine Rolle spielen. Entscheidende Akteure sind hier immer wieder Finanzinvestoren, die auch eine weitere Gruppe von Transaktionen mitprägen, in der seit geraumer Zeit die Zulieferbranche für Medizintechnikunternehmen konsolidiert wird. Zielunternehmen sind hier typischerweise spezialisierte Unternehmen aus den Bereichen Kunststoff- oder Metallverarbeitung, wie zuletzt im Falle des Einstiegs von Capiton bei GPE.

Augenheil-Division von Novartis geht an die Börse

Mit dem IPO von Alcon, der Augenheil-Division von Novartis, gab es auch im ersten Halbjahr 2019 wieder einen bemerkenswerten Börsengang. Beim jetzigen Spin-Off wurde Alcon bei einem Umsatz von 7,2 Mrd. US-Dollar mit zirka 24 Mrd. Euro bewertet. Novartis hatte Alcon einst für rund 50 Mrd. US-Dollar erworben, aber nie auf das erhoffte Profitabilitätslevel führen können. Auf eigenen Beinen soll es Alcon nun besser gelingen, sich im Segment der Augenheilkunde als hochprofitabler Weltmarktführer neben J&J und Carl Zeiss zu positionieren. Unmittelbar vor dem IPO hatte Alcon noch für rund 251 Mio. Euro die amerikanische Power Vision übernommen, einen Spezialisten für Interokularlinsen.

Zurückhaltung überrascht aus mehreren Gründen

Fazit: Insgesamt fällt hierzulande die relativ geringe Zahl von Transaktionen im Kernbereich der Hersteller von Medizintechnik und Medizinprodukten auf. Das überrascht aus mehreren Gründen. Auf der Nachfrageseite würde man erwarten, dass sich strategische Käufer aus diesem Bereich mit Blick auf die international vorangetriebene Fusionstätigkeit aktiv um die Konsolidierung ihres relevanten Marktumfelds bemühen, um ihre Kostenposition, ihr Leistungsportfolio und ihren Kundenzugang zu verbessern. Auf der Angebotsseite sorgt eine schwierige Gemengelage von an Fahrt gewinnender Digitalisierung der Geschäftsmodelle und stetig wachsenden Anforderungen im Bereich Zulassung, Zertifizierung und Compliance (Stichwort MDR) nicht nur für qualitativ neue Herausforderungen, sondern auch für steigenden Anpassungs- und Kostendruck. Der kann gerade von den kleineren Anbietern nur schwer aufgefangen werden. Dies umso weniger, als sich auch investitionswillige Unternehmen seit längerem schwer tun, überhaupt geeignete Fachkräfte speziell für diese Bereiche zu finden. Für beide Seiten scheint daher der Weg zu Zusammenschlüssen vorgezeichnet, solange noch aus einer Position relativer Stärke gehandelt werden kann. Es bleibt abzuwarten, wann sich diese Treiber tatsächlich zu einem signifikanten Anstieg der Transaktionsaktivität führen. Die scheint bisher überwiegend technologiegetrieben bzw. durch Gründer und Start-ups geprägt.

Medizintechnik-M&A des ersten Halbjahres 2019 zum Download

Lesen Sie auch

* Der Autor: Dr. Christian Bridts ist Gründer und Geschäftsführer von Bridts Corporate Finance, München. Für Devicemed betrachtet er exklusiv zwei Mal pro Jahr deutschlandrelevante M&As auf dem Medtech-Markt.

Artikelfiles und Artikellinks

(ID:46054989)