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Eisenführ Speiser Patentschutz in der vernetzten Medizin

Redakteur: Julia Engelke

Das Zusammenspiel von medizinischen Geräten im Internet der Dinge (IoT), Big-Data-Anwendungen und künstliche Intelligenz: Kaum eine Entwicklung im Bereich Life Science kommt ohne digitale Vernetzung aus. Das bedeutet auch patentrechtlich eine neue Stufe der Komplexität. Devicemed sprach darüber mit Patentanwältin Dr. Katrin Winkelmann und Rechtsanwalt Dr. Tilman Müller von der Kanzlei Eisenführ Speiser.

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Der Rechtsanwalt Dr. Tilman Müller (l.) und die Patentanwältin Dr. Katrin Winkelmann von der Kanzlei Eisenführ Speiser sprachen im Interview mit Devicemed über den Patentschutz in der vernetzten Medizin.
Der Rechtsanwalt Dr. Tilman Müller (l.) und die Patentanwältin Dr. Katrin Winkelmann von der Kanzlei Eisenführ Speiser sprachen im Interview mit Devicemed über den Patentschutz in der vernetzten Medizin.
(Bild: Eisenführ Speiser)
  • Auch einzelne Geräte und Einheiten und nicht nur das System als Ganzes zum Patent anmelden
  • Patentschutz für technische Erfindungen ist territorial begrenzt

Wie funktioniert Patentschutz bei vernetzten Systemen?

Winkelmann: Vernetzte Systeme bringen es mit sich, dass Erfindungen von mehreren Teilnehmern gemeinsam verwirklicht werden, oft auch grenzüberschreitend. Wenn solche vernetzten Systeme patentrechtlich geschützt sind, wird das Patent in der Regel nicht direkt verletzt, sondern einzelne Teilnehmer können ein solches Patent nur indirekt oder mittelbar verletzen. Wer sich davor schützen möchte, sollte auch die einzelnen Geräte oder Einheiten zum Patent anmelden – nicht nur das System als Ganzes.

Wenn aber das einzelne Gerät ohne das vernetzte System nicht erfinderisch ist?

Winkelmann: Wenn nur das vernetzte System erfinderisch und damit patentfähig ist, sollte das Patent insbesondere das funktionale Zusammenspiel sowie die synergetische Wirkung der verschiedenen Elemente betonen. Auch so kann man sich vor mittelbaren Patentverletzungen schützen. Hierzu ein Beispiel: Ein Patentanspruch, gerichtet auf eine „Diagnosevorrichtung mit einer Kommunikationsschnittstelle zu einem Mobiltelefon zum Betrieb in einem System mit einem Server“, ist gegen Hersteller oder Nutzer der Diagnosevorrichtung besser durchsetzbar als ein Anspruch auf ein „System, das eine Diagnosevorrichtung, ein Mobiltelefon und einen Server umfasst“. Denn im ersten Fall liegt eine unmittelbare Patentverletzung vor; im zweiten Fall kommt nur eine mittelbare Patentverletzung des Gesamtsystems in Frage.

Inwiefern ist gerade die Integration von Kommunikationstechnologien eine Herausforderung?

Müller: Durch die Integration von Kommunikationstechnologien in medizinische Geräte erscheinen branchenfremde Patentinhaber auf der Bildfläche, die mitunter ganz andere Verhaltensmuster an den Tag legen und mit Unterlassungsklagen ganze Branchen bedrohen können. Da diese Akteure selbst meist keine Produzenten sind, sondern auf die Durchsetzung von Patenten spezialisierte Unternehmen, werden sie Non-Practicing Entities (NPEs) oder auch „Patenttrolle“ genannt. Deren Aktivität ist derzeit zum Beispiel in der Automobilindustrie zu beobachten.

Was passiert da konkret?

Müller: In der Automobilindustrie waren früher nur wenige Marktteilnehmer aktiv, die zwar jeweils große Patentportfolios hatten, aber nur wenig Patentstreitigkeiten untereinander austrugen – ähnlich wie in der Medizintechnik. Die Integration von Kommunikationstechnologien in die Fahrzeuge hat das geändert. Die hohen Verkaufspreise der Fahrzeuge machen die Automobilhersteller zu einem attraktiven Ziel für Patentverwerter, die keine sonstigen Verbindungen zur Automobilindustrie haben. Außerdem profitieren sie davon, dass das Fachwissen der Automobilhersteller auf dem Gebiet der Telekommunikation noch vergleichsweise gering ausgeprägt ist. Das macht die Branche zu einem lohnenden Ziel für Unterlassungsklagen.

Viele Diagnoseverfahren funktionieren heute grenzübergreifend. Wem gehört dann das Patent?

Winkelmann: Patentschutz für technische Erfindungen ist immer territorial begrenzt. Deshalb müssen Unternehmen hier besonders aufmerksam prüfen, wie sie ihren Wettbewerbsvorsprung bei international durchgeführten Prozessen halten oder noch ausbauen können. Eine Möglichkeit ist die Zuschreibung von im Ausland durchgeführten Verfahrensschritten zu einem inländischen Verfahrensbeteiligten: Wenn ein Verfahren teilweise im Ausland durchgeführt wird, kann ein Patentverletzungsprozess in Deutschland nur erfolgreich sein, sofern die im Ausland durchgeführten Verfahrensschritte einem in Deutschland handelnden Teilnehmer zugeschrieben werden können.

Müller: Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn die im Ausland stattfindenden Handlungen durch einen „Mittäter“ des deutschen Teilnehmers durchgeführt werden. Der „Mittäter“ wird hier wie im Strafrecht definiert. Zusätzlich ist dabei erforderlich, dass in Deutschland die wesentlichen Teile des Verfahrens stattfinden, die den Erfolg der Erfindung realisieren, also das eigentliche Endergebnis der Erfindung mit einem in Deutschland durchgeführten Schritt erzielt wird, auch wenn dieser technisch gesehen von untergeordneter Bedeutung ist.

Könnte man bei komplett im Ausland durchgeführten Prozessen zumindest die Verwendung des Prozessergebnisses in Deutschland verhindern?

Winkelmann: Ja, das nennt man derivativen Produktschutz. Um diesen in Anspruch nehmen zu können, ist es erforderlich, dass das Verfahren zu einem Ergebnis führt, das durch das Verfahren erzeugt oder modifiziert wird und geräteähnliche, technische Eigenschaften aufweist. Ein Ergebnis, das nur in Form von Wissen oder Erkenntnissen vorliegt, ist kein „Produkt“ im Sinne dieser Gesetzesvorschrift. Es muss aber auch nicht notwendigerweise ein physisches Objekt sein. Vielmehr reicht es aus, wenn das Verfahrensergebnis geeignet ist, Gegenstand eines Vorrichtungsanspruchs zu sein oder wie eine Vorrichtung verwendet zu werden. Wenn also das Ergebnis des Prozesses „nur“ eine Diagnose ist, kann ich mir diese nicht als Produkt schützen lassen. Wenn das Ergebnis aber z.B. eine konkrete Datenstruktur ist, dann wäre derivativer Produktschutz möglich.

Könnte man es so zusammenfassen: Wer einen guten Schutz möchte, braucht gute Anwälte?

Müller: … oder eine gute Rechtsabteilung. Es ist in der vernetzten Welt nicht einfacher geworden, sein geistiges Eigentum zu schützen. Aber es nicht zu tun, wäre fahrlässig.

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