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Mergers & Acquisitions in der Medizintechnik Spürbare Zurückhaltung in der Medtech-Branche: M&A im 1. Halbjahr 2023

Eine Analyse von Dr. Christian Bridts* Lesedauer: 5 min |

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Zurückhaltung und Abwarten bestimmen noch immer das Transaktionsgeschehen in der Medizintechnik-Branche. Das zeigt sich in der Zahl der abgeschlossenen M&A-Transaktionen im ersten Halbjahr 2023: Diese ist national sowie international auf ein ungewöhnlich niedriges Niveau zurückgefallen.

Unterschreiben oder lieber doch nicht? Ein nach wie vor schwieriges Gesamtumfeld scheint für verbreitete Zurückhaltung und Abwarten beim Medtech-Transaktionsgeschehen zu sorgen.
Unterschreiben oder lieber doch nicht? Ein nach wie vor schwieriges Gesamtumfeld scheint für verbreitete Zurückhaltung und Abwarten beim Medtech-Transaktionsgeschehen zu sorgen.
(Bild: Blue Planet Studio - stock.adobe.com)

Nicht unerwartet haben sich die bereits 2022 feststellbaren Bremseffekte im Transaktionsgeschäft im ersten Halbjahr 2023 sowohl international als auch national fortgesetzt. Ein nach wie vor schwieriges Gesamtumfeld, resultierend aus einem fortdauernden Ukraine-Krieg, deutlich gestiegenen Zinsen und Personalkosten, einem Auslaufen von pandemie- und lieferkettenbedingten Sondereinflüssen sowie weiter verschärften Compliance-Anforderungen (in Deutschland: Lieferkettengesetz, ESG-Anforderungen etc.), scheint für verbreitete Zurückhaltung und Abwarten zu sorgen.

Im Ergebnis ist die Zahl abgeschlossener M&A-Transaktionen auch international auf ein ungewöhnlich niedriges Niveau zurückgefallen. Auch die größten internationalen Deals des Halbjahres erreichen nicht annähernd die Dimensionen der Vorjahre.

Globus Medical vermeldet die Übernahme von Nuvasive für 3,1 Milliarden US-Dollar per reinem Aktiendeal. Mit dieser Kombination entsteht eine führende Adresse im Bereich von Produkten u. a. für Wirbelsäulen- und Gelenkchirurgie. Für ca. den gleichen Kaufpreis sichert sich Finanzinvestor Bain Capital die von Olympus ausgegliederte Life-Science-Division Evident (u. a. Mikroskope für Pathologie, Hematologie etc.). Olympus möchte sich künftig auf den Bereich Endoskopie und medizinische Bildgebungsverfahren konzentrieren.

Immerhin 2,6 Milliarden ist Thermo Fisher der Erwerb des britischen Diagnostikunternehmens The Binding Site von Finanzinvestor Nordic Capital wert. Abbott hat angekündigt, für 890 Millionen US-Dollar Cardiovascular Systems (CSI) zu übernehmen und sein kardiovaskuläres Portfolio damit im Bereich der Atherektomiesysteme zu verstärken.

Das teuerste Transaktionsprojekt ist noch im Gerüchtestatus

Das mit Abstand teuerste Transaktionsprojekt ist bisher nicht über den Gerüchtestatus hinausgelangt: Demnach plant Boston Scientific (Marktkapitalisierung 75 bis 80 Milliarden US-Dollar) die Übernahme von Shockwave Medical, einem Entwickler neuer Therapieformen für atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit einer Marktkapitalisierung von 10 Milliarden US-Dollar. Allerdings wird neuerdings auch ein Interesse von Johnson & Johnson (J&J) und Medtronic an Shockwave kolportiert, ein weiteres Gerücht, das die Verhandlungsposition des Zielunternehmens sicher nicht schwächt.

Der Vollzug der bereits 2022 angekündigten Spin-Offs von 3M (Healthcare-Unit) und J&J (Consumer Health) wird derzeit noch für Ende 2023 erwartet. Auch der VC-nahe Finanzierungsbereich spiegelt in den USA die allgemeine Zurückhaltung wider und zeigt deutlich zurückgegangene Gesamtvolumina. Ausnahmen wie das vergleichsweise aktive Marktsegment der Finanzierungsrunden in der Medizinrobotik bestätigen hier eher die generelle Diagnose. So gelang es gleich drei Robotikchirurgie-Unternehmen, Noah Medical, Distalmotion und Augmedics, Finanzierungsrunden über oder in der Nähe von einem Volumen von 100 Millionen US-Dollar abzuschließen.

Vor diesem Hintergrund präsentiert sich auch das reine M&A-Transaktionsgeschehen in der D/A/CH-Region weiterhin abwartend bis schwach. Der bereits seit längerem abzusehende Exit von EQT bei Ottobock ist derzeit noch nicht vollzogen. Ungeachtet dessen komplementiert Ottobock sein Portfolio mit dem Erwerb der britischen Pace Rehabilitation.

Auch zwei weitere namhafte Adressen kaufen in UK ein, zielen dort aber jeweils auf Spezialisten im Bereich KI/Health-IT: Die Mainzer Biontech erwirbt für bis zu 0,5 Milliarden Euro das KI-Start-up Insta Deep, mit dem man schon bisher verpartnert war. Mit diesem größten Erwerb der Geschichte will Biontech die Entwicklung innovativer Biopharmazeutika und Impfstoffe beschleunigen. Die Bayer AG strebt mit der schottischen KI-Adresse Blackford Analysis eine Verstärkung im Bereich digitaler Bildgebung an.

Health-IT und/oder KI dominieren thematisch das Feld

Im Übrigen wird das Transaktionsgeschehen ganz überwiegend von Portfolioaktivitäten von Finanzinvestoren einerseits und Finanzierungsrunden medizintechnischer Start-ups andererseits geprägt. Beiden Gruppen ist gemeinsam, dass auch hier die Bereiche Health-IT und/oder KI thematisch das Feld dominieren.

Besonders aktiv zeigt sich der Tübinger Finanzinvestor SHS Beteiligungen. Dem Einstieg bei der Züricher Simulands AG (digitale Simulation kardiovaskulärer Eingriffe) folgte zunächst eine weitere Finanzierungsrunde beim Portfoliounternehmen Selfapy (digitale Therapielösungen), bevor dann auch ein Investment in die slowenische Mesi Medical (digitale kardiologische Diagnostik) gelang. An diese Einstiege schloss sich ein Exit beim Neurochirurgie-Spezialisten Spiegelberg an.

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In einer der größeren europäischen Finanzierungsrunden wirbt KI-Spezialist Volta Medical 36 Millionen Euro für die Weiterentwicklung seiner Lösungen im Bereich komplexer Herzrhythmusstörungen ein. Dem Münchner Start-up Deep-C, KI-Spezialist für radiologische Diagnostik, gelang es ebenfalls, erfolgreich eine Finanzierungsrunde abzuschließen, in diesem Falle über 12 Millionen Euro. Finanzinvestor Astorg übernimmt aus den Händen der Nord Holding deren Anteil am Implantathersteller (Orthopädie) Hg Medical.

Auch das Segment administrativer Health-IT-Lösungen bleibt aktiv. Die Compu Group steigt bei M.Doc (Köln) ein und die Greenpark Portfolio-Gesellschaft Paratus übernimmt eine Mehrheit an der Rostocker Image Information Systems (u. a. Archivierungs-Software).

Zwei klassische mittelständische Medtech-Unternehmen gehen ebenfalls in die Hände von Finanzinvestoren über: Nordic Capital sichert sich die Mehrheit beim Defibrillatorenhersteller Corpuls und das Prager Family Office BHM erwirbt den Produzenten mobiler OP-Tische Medifa.

Finanzinvestoren in der führenden Rolle bei der Neuausrichtung

Weiterhin betreiben damit Finanzinvestoren in führender Rolle die Neuausrichtung zumindest in Teilen der Medizintechnik-Branche und bieten sich als Katalysatoren für den Generationswechsel an. Insgesamt lassen gerade die wenigen vollzogenen Nachfolgetransaktionen nicht erkennen, dass die altersbedingt anstehenden Nachfolgen in der Branche aktiv umgesetzt werden. Nicht selten dürfte noch abgewartet werden, wann die Geschäftszahlen nach einer Reihe von durch Krisen geprägten Geschäftsjahren das „new normal“ widerspiegeln und damit nachhaltige unternehmerische Entscheidungen erleichtern. Inwieweit es gelingt, diese Wartephase zur aktiven Verbesserung des Geschäftsmodells zu nutzen, dürfte in nicht wenigen Fällen von der Fähigkeit und Bereitschaft abhängen, in diesem Zuge auch Kapital und Managementressourcen zu investieren. Steht beides nicht ausreichend zur Verfügung, könnte die Hoffnung auf Wertsteigerung durch Hinauszögern von Nachfolgeentscheidungen zu deutlichen Enttäuschungen führen.

Mergers & Acquisitions (M&A)

Mergers & Acquisitions (M&A) zählen nicht zum unternehmerischen Alltag. Auf den ersten Blick mögen sie nur für die involvierten Unternehmen entscheidende Weichenstellungen darstellen, die dort mit Vorbereitung und Nachwehen häufig mehrere Geschäftsjahre prägen. Teilweise beeinflussen sie durch ihre Auswirkungen aber auch die Struktur ganzer Branchensegmente und bringen dadurch auch für nicht direkt beteiligte Unternehmen wesentliche Veränderungen mit sich. So ist der aufmerksame Blick auf das Transaktionsgeschehen stets auch wichtiger Bestandteil der strategischen Umfeldanalyse.

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* Der Autor: Dr. Christian Bridts ist Gründer und Geschäftsführer von Bridts Corporate Finance, München. Für Devicemed betrachtet er exklusiv zwei Mal pro Jahr deutschlandrelevante M&As auf dem Medtech-Markt.

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