Medical Device Regulation (MDR) Kontroverse Reaktionen auf Ratsverhandlungen zur EU-Medizinprodukteverordnung
Nach einer langen Phase ohne sichtbaren Fortgang wurden am Freitag vergangener Woche in Luxemburg die Ratsverhandlungen zur europäischen Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation – MDR) wieder aufgenommen. Ähnlich unterschiedlich wie die Positionen der verschiedenen politischen Lager vor dem bevorstehenden Trilog zwischen Rat, Parlament und Kommission fallen dazu auch die Reaktionen des BVMed – Bundesverband Medizintechnologien und des AOK-Bundesverbandes aus.
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Bereits im Jahr 2012 hatte die Europäische Kommission nach dem Skandal um Brustimplantate der französische Firma PIP einen Entwurf für eine neue Medizinprodukteverordnung vorgelegt, die die bisherigen Richtlinien ablösen sollte. Dazu wurden dem Europäischen Parlament im April 2014 in erster Lesung mehr als 900 Änderungsvorschläge vorgelegt. Nur rund einen Monat später folgten die Europawahlen 2014 – und eine lange Phase der Untätigkeit.
Das sagt der BVMed: Bewährtes bewahren – Patientensicherheit sinnvoll weiterentwickeln
Zu den Ratsverhandlungen am 19. Juni 2015 in Luxemburg über eine neue europäische Medizinprodukte-Verordnung nimmt BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt wie folgt Stellung:
- 1. Patientenschutz und Patientenwohl müssen bei der Entwicklung, Produktion und Anwendung von Medizinprodukten an erster Stelle stehen. Millionen von Menschen in Deutschland werden durch moderne Medizintechnologien das Leben gerettet, Schmerzen genommen oder Mobilität ermöglicht.
- 2. Schwachstellen im europäischen Zulassungssystem für Medizinprodukte sind größtenteils behoben worden – beispielsweise durch die Beschlüsse der Europäischen Kommission vom Oktober 2013. Diese sehen strengere Kriterien für Benennung und Überwachung der Benannten Stellen vor. Zudem sind klare Grundlagen für unangekündigte Audits, Probenahmen oder gemeinsame Bewertungen durch Benannte Stellen geschaffen worden, die seit 2013 umgesetzt werden. Dieses Regelwerk hat schon in kurzer Zeit gezeigt, dass die Kontrollen bei Unternehmen und im Markt verbessert wurden.
- 3. Die Erkenntnisse aus diesen eingeleiteten Verbesserungen müssen in die weiteren Verhandlungen zur Medizinprodukteverordnung einfließen. Nach dem Motto: „Bewährtes bewahren. Modernisieren, wo notwendig.“
- 4. Medizinprodukte durchlaufen umfangreiche technische und klinische Tests nach international anerkannten standardisierten Methoden, bevor sie in umfangreichen klinischen Studien erprobt und beim Patienten angewendet werden. Dazu gehören eine Risikoanalyse und Risikobewertung zum Nachweis der Sicherheit, der Nachweis der Einhaltung aller relevanten Gesetze und Normen, die Durchführung einer klinischen Bewertung zum Nachweis der Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit sowie ein umfassendes Qualitätsmanagementsystem.
- 5. Für zentralisierte staatliche Zulassungssysteme wie in den USA gibt es keinen Nachweis, dass sie eine höhere Patientensicherheit bieten. Das zeigt beispielsweise eine Vergleichsstudie der Boston Consulting Group aus dem Jahr 2011, die unter anderem alle Rückrufe analysierte. Das europäische System berücksichtigt zudem die Besonderheiten der Medizinprodukte – Stichworte: Heterogenität, kurze Innovationszyklen, andere Wirkweise – besser als das US-System.
AOK-Bundesverband bemängelt halbherzigen Beschluss im EU-Ministerrat
Dass sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Rat der EU auf eine gemeinsame Linie für eine neue Medizinprodukteverordnung verständigt haben, begrüßt der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jürgen Graalmann: „Die gute Nachricht ist, dass es überhaupt zu einer Überarbeitung der veralteten Regelungen kommen wird und strengere Regeln vor allem bei der Marktüberwachung vorgesehen sind.“ Er bemängelt jedoch, dass Hochrisikoprodukte auch in Zukunft weitgehend ohne klinische Studien auf den Markt kämen. „Grundsätzlich sind zwar klinische Studien vorgesehen, welche die Sicherheit und Wirksamkeit von Hochrisikomedizinprodukten belegen sollen, es gibt aber so viele Ausnahmeregelungen, dass die Hersteller leicht darum herumkommen werden“, so Graalmann. Er will Nachweise des Nutzens von Produkten durch Studien als Qualitätsmaßstab der Medizinproduktehersteller verankern.
„Die Überwachung Benannter Stellen wird zwar verbessert, es bleibt aber zu einfach für die Unternehmen, ein CE-Kennzeichen für ihre Hochrisikomedizinprodukte zu erhalten“, bemängelt der AOK-Chef auch das Festhalten an der Zulassung von Medizinprodukten durch über ganz Europa verteilte Benannte Stellen anstelle einer zentralen Zulassung. Ein geplantes Expertengremium für die Bewertung von Hochrisikoprodukten sollte laut Graalmann verpflichtend eingeschaltet werden. Dies hatten mehrere Mitgliedstaaten gefordert. Stattdessen wird das Gremium nur aufgrund freiwilliger Aufforderung von Unternehmen oder nationalen Stellen tätig werden können.
Bedauerlich ist aus Sicht des AOK-Chefs auch, dass der Rat sich nicht zu einer verbindlichen Haftpflichtversicherung für die Hersteller durchringen konnte. „Patienten müssen bei nachgewiesenem Schaden die Gewissheit haben, auch im Falle der Insolvenz eines Unternehmens eine Entschädigung zu bekommen. Es ist sehr zu hoffen, dass sich das Europäische Parlament noch mit seiner Forderung nach einer obligatorischen Haftpflichtversicherung durchsetzt“, so Graalmann.
„Es hat den Mitgliedstaaten, insbesondere auch Deutschland, offensichtlich an Mut gefehlt, einen wirklichen Schritt in Richtung mehr Patientensicherheit zu tun. Wir hoffen, dass im anstehenden Trilog doch noch wesentliche Verbesserungen für die Patientensicherheit bei Hochrisikomedizinprodukten erreicht werden“, so Graalmann abschließend.
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