France

EU-Patentreform Das Einheitspatent kommt: KMU benötigen eine Kostenstrategie

Ein Gastbeitrag von Manuel Soria Parra Lesedauer: 7 min |

Anbieter zum Thema

Am 1. Juni 2023 startet das EU-Patentsystem, das einen einheitlichen Schutz von Innovationen in der EU bei niedrigeren Kosten bieten soll. Ab dann heißt es: Zahle vier und erhalte 17, später sogar 24 Länder. Ob Medtech-KMU ihre Patentkosten in Zukunft tatsächlich reduzieren können, wird jedoch davon abhängen, welche strategischen Entscheidungen sie in den nächsten Wochen treffen werden.

Ab 1. Juni startet die EU-Patentreform. Ab dann kann für jedes vom Europäischen Patentamt erteilte Patent die einheitliche Wirkung beantragt werden.
Ab 1. Juni startet die EU-Patentreform. Ab dann kann für jedes vom Europäischen Patentamt erteilte Patent die einheitliche Wirkung beantragt werden.
(Bild: vchalup - stock.adobe.com)

Die föderalen Strukturen Europas haben bisher verhindert, dass vom Europäischen Patentamt erteilte europäische Patente einheitlich in Europa durchgesetzt werden können. Jedes europäische Patent zerfällt nach dessen Erteilung in ein Bündel einzelner nationaler Teile und wird daher auch als Bündelpatent bezeichnet. Wie viele solcher nationalen Teile eines europäischen Patents entstehen, bestimmt der Patentinhaber. Entscheidungsrelevant sind die damit verbundenen Kosten insbesondere für die jährlichen Verlängerungsgebühren, die in jedem Land einzeln fällig werden. Immerhin können bis zu 39 Vertragsstaaten ausgewählt werden. Das verspricht zwar einen territorial weitreichenden, aber auch teuren Patentschutz.

Wenn ein solches europäisches Patent in mehreren Ländern gerichtlich durchgesetzt werden soll, müssen zudem in jedem Land einzelne Gerichtsverfahren geführt werden. Das treibt Patentkosten und Patentkostenrisiken in Europa in die Höhe. Zukünftig soll sich das ändern. Einige EU-Staaten haben sich zusammengetan und eine Patentreform angestoßen, die nun in die Umsetzung geht.

EU-Patentreform startet am 1. Juni 2023

Ab dem 1. Juni 2023 kann für jedes vom Europäischen Patentamt erteilte Patent die einheitliche Wirkung beantragt werden. Das europäische Patent hat dann in allen EU-Ländern, die am Einheitspatentsystem teilnehmen, einheitliche Wirkung und wird einheitlich verwaltet und daher auch Einheitspatent genannt. Mit dem Start des neuen Systems nehmen 17 EU-Länder am neuen System teil, weitere sieben Länder werden kurzfristig folgen. Die jährlichen Verlängerungsgebühren, die bisher national erhoben wurden, erhebt für Einheitspatente das Europäische Patentamt zentral, wobei die Kosten etwa den vierfachen Gebühren eines nationalen Teils eines bisherigen europäischen Patents entsprechen. Kurz und vereinfacht gesagt: Zahle vier und erhalte 17, später sogar 24 Länder. Das klingt zunächst nach einer erheblichen Kostenreduktion für Patentinhaber.

Aber die Angelegenheit ist weitaus komplexer. Zwar ist das neue Einheitspatent in wichtigen Märkten für die Medizintechnikbranche, wie Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande, wirksam. Andere wichtige Absatz- oder Herstellländer wollen (Spanien, Polen) oder können mangels EU-Mitgliedschaft (Großbritannien, Schweiz) jedoch nicht am neuen Patentsystem teilnehmen. Um ihre Innovation in den nicht beteiligten Ländern zu schützen, müssen Unternehmen dort weiterhin separat Patentschutz erwirken. Sie werden insoweit vom neuen Einheitspatent allein nicht profitieren. Neben den Verlängerungsgebühren für das Einheitspatent sind daher zusätzlich die Verlängerungsgebühren für die nationalen Teile, z. B. in Spanien und Großbritannien, fällig. Bereits dies relativiert die Kostenvorteile des Einheitspatents für Medtech-Unternehmen.

Patentdurchsetzung birgt Kostenrisiken

Mit der Einführung des Einheitspatents wird auch das neue Einheitspatentgericht (EPG) seine Arbeit aufnehmen. Der europäische Gesetzgeber verspricht sich davon, dass es insbesondere für KMU leichter wird, Patente in Europa durchzusetzen. Denn ein einziges Gerichtsverfahren vor dem EPG führt zu einem Urteil, das in mehreren EU-Staaten einheitlich vollstreckt werden kann.

Wenn europäische Bündelpatente in mehreren Ländern durchgesetzt werden sollen, mussten bisher vor den jeweiligen nationalen Gerichten separat Klagen erhoben werden. Mit jeder Klage sind Kostenrisiken verbunden. Nicht nur wegen der eigenen Kosten für die Patentdurchsetzung, sondern weil bei einem Unterliegen meist auch die Kosten der Gegenseite zu tragen sind. In der Theorie ist die Durchsetzung eines Bündelpatents daher enorm teuer und finanziell riskant. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass die meisten Patentklagen ausschließlich in Deutschland geführt werden. Insbesondere in der Medizintechnik-Branche führt ein gewonnenes Gerichtsverfahren oft dazu, dass die Parteien sich anschließend auf gesamteuropäischer Ebene einigen. KMU profitieren so von den im weltweiten Vergleich niedrigen Kostenrisiken deutscher Gerichtsverfahren.

Vor dem neuen Einheitspatentgericht sieht das anders aus. Zwar wird immer wieder angeführt, dass die Gerichtskosten insbesondere im Vergleich zu Deutschland geringer sind. Dabei wird jedoch meist übersehen, dass demgegenüber die vom Verlierer des Verfahrens zu erstattenden Anwaltskosten beim EPG um ein Vielfaches höher sein werden. Damit steigt das Kostenrisiko einer Patentdurchsetzung vor dem EPG, was insbesondere KMU daran hindern könnte, ihre Innovation zu verteidigen.

Jetzt Newsletter abonnieren

Verpassen Sie nicht unsere besten Inhalte

Mit Klick auf „Newsletter abonnieren“ erkläre ich mich mit der Verarbeitung und Nutzung meiner Daten gemäß Einwilligungserklärung (bitte aufklappen für Details) einverstanden und akzeptiere die Nutzungsbedingungen. Weitere Informationen finde ich in unserer Datenschutzerklärung.

Aufklappen für Details zu Ihrer Einwilligung

Kein Bestandsschutz für bisherige Patente

Das pikante Detail an der neuen Patentreform ist, dass das EPG nicht nur für europäische Patente zuständig ist, die ab 1. Juni 2023 erteilt werden, sondern auch für bereits erteilte europäische Bündelpatente. Zwar bleibt es dabei, dass bisherige europäische Bündelpatente in nationale Teile zerfallen. Das EPG kann aber über alle nationalen Teile in denjenigen Ländern, die dem Einheitspatentsystem angehören, einheitlich Recht sprechen. Insofern ändert sich die Wirkung bisheriger Patente – einen Bestandsschutz gibt es nicht automatisch.

Wer das nicht möchte, muss handeln und die Zuständigkeit des EPG für seine bisherigen europäischen Patente ausschließen. Entsprechende Anträge können schon seit 1. März 2023 gestellt werden. Ob das sinnvoll ist, sollten sich Patentinhaber jedoch gut überlegen.

Die richtige Patentstrategie ist kostenentscheidend

Bei der Entscheidung über einen Verbleib im Status quo oder den automatischen Eintritt in ein neues Gerichtssystem müssen viele Faktoren berücksichtigt werden. Ein Patent, das in 17 Ländern zentral durchgesetzt werden kann, wird einen höheren ökonomischen Wert haben als ein europäisches Patent mit 17 Länderteilen, die jeweils der örtlichen Gerichtszuständigkeit unterliegen. Die Streitbereitschaft und die wirtschaftliche Schlagkraft des eigenen Unternehmens und der relevanten Wettbewerber können bei der Entscheidungsfindung eine wesentliche Rolle spielen.

Das EPG wird für eine Übergangsfrist von mehreren Jahren nicht ausschließlich für alle Klagen aus einem europäischen Patent zuständig sein. Vielmehr können Patentinhaber eines europäischen Bündelpatents wählen, ob sie es vor einem nationalen Gericht oder dem EPG durchsetzen wollen. Diese Erweiterung der Durchsetzungsmöglichkeiten kann den Wert eines bestehenden europäischen Bündelpatents weiter steigern. Für innovative Medizintechnik-Unternehmen, insbesondere KMU, könnte es daher sinnvoll sein, das neue System zu nutzen.

Demgegenüber ist auch zu bedenken, dass Wettbewerber das Bündelpatent durch eine Klage beim EPG angreifen können. Bei Erfolg könnte es dadurch zentral in mehreren Ländern zeitgleich für unwirksam erklärt werden. Oft wird dieses Argument verwendet, um Unternehmen dazu zu bewegen, am Status quo festzuhalten und alle bestehenden Bündelpatente noch vor Inkrafttreten der Patentreform aktiv von der Zuständigkeit des EPG auszuschließen.

Tatsächlich dürfte die Gefahr einer zentralen Vernichtung eines Patents in den meisten Fällen jedoch nur theoretischer Natur sein. Erfahrungsgemäß gehen Unternehmen das Kostenrisiko eines gerichtlichen Angriffs auf ein Patent nicht grundlos ein, sondern reagieren damit auf eine Patentverletzungsklage. Der Patentinhaber hat es also in der Hand, ob er diese Reaktion provozieren möchte. Wenn ein zentraler Angriff auf das Patent vor dem EPG vermieden werden soll, weil Patentinhaber ihr europäisches Bündelpatent lieber vor den etablierten nationalen Gerichten durchsetzen wollen, können sie einzelne Patente auch noch vor Klageerhebung gezielt aus der EPG-Zuständigkeit ausschließen. Ein vorauseilendes Handeln ist daher oft nicht notwendig.

Für Start-ups auf der Suche nach Venture-Kapital dürfte das neue Einheitspatentsystem eine Chance sein, weil ein Einheitspatent mit Wirkung für 17 EU-Staaten immerhin günstiger als ein Bündelpatent in denselben Ländern ist, ein hohes wirtschaftliches Potenzial hat und es auf gerichtliche Durchsetzung nicht unmittelbar ankommt. Für KMU, die auf eine kostengünstige Durchsetzung ihrer Patente angewiesen sind und mit großen internationalen Konzernen im Wettbewerb stehen, die das Kostenrisiko eines Streitverfahrens vor dem EPG wenig beeindruckt, könnte sich die EU-Patentreform eher als nachteilig erweisen.

Patentschutz in Europa ist immer noch teuer

Die EU-Patentreform ist ein Meilenstein in der Geschichte der EU, greift im internationalen Vergleich jedoch immer noch zu kurz, was die Innovationsförderung für KMU in Europa anbelangt. Die Jahresgebühren des neuen europäischen Einheitspatents kumulieren sich über die 20-jährige Laufzeit immer noch auf über 35.000 Euro. Im Vergleich dazu sind für ein Patent in den USA, das einen ähnlich großen und für die Medizintechnik meist wichtigeren Markt abdeckt, nur knapp 13.000 Euro fällig – wobei KMU sogar weniger als die Hälfte dieser Gebühren zahlen. Das ist eine tatsächliche und spürbare Entlastung und ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil für US-Unternehmen. Die derzeitigen Reformen der EU mit den Änderungen in der Medical Device Regulation (MDR) und der Zurückhaltung bei einer Kostenentlastung von KMU beim Patentschutz bremsen womöglich die Innovationskraft am Medtech-Standort Europa.

Es wird in der Zukunft jedenfalls mehr denn je auf eine gute und ausgewogene Patentstrategie ankommen, um in Europa als Medizintechnik-Unternehmen ökonomisch erfolgreich zu sein. Signifikant kostengünstiger wird es im globalen Vergleich leider nicht.

Ergänzendes zum Thema

Bündelpatent:

  • nationale Patente werden in jedem Land separat verwaltet
  • nationale Patente lösen mehrere nationale Jahresgebühren aus
  • bietet Patentschutz in bis zu 39 Ländern, u. a. auch in Nicht-EU-Staaten wie Großbritannien und der Schweiz

Einheitspatent: (ab 1. Juni 2023)

  • wird zentral vom Europäischen Patentamt verwaltet
  • einheitliche Jahresgebühr wird vom Europäischen Patentamt erhoben
  • anfänglich für 17 EU-Länder, sieben weitere Mitgliedsstaaten wollen die Reform bald umsetzen
  • Spanien, Kroatien und Polen machen beim EU-weiten Patentschutz nicht mit; Großbritannien und die Schweiz sind als Nicht-EU-Staaten außen vor

Alle „Patente der Woche“ aus der Medizintechnik finden Sie in unserem Themenkanal Konstruktion.

*Manuel Soria Parra ist Patentanwalt bei Keller Schneider Patentanwalts GmbH.

(ID:49295431)