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Bürstenlose Kleinmotoren Antrieb für das Exoskelett

Ein Gastbeitrag von Andreas Seegen und Ellen-Christine Reiff*

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Bei Erkrankungen, die die Beweglichkeit einschränken, kann ein Exoskelett die geschwächten Muskeln unterstützen. Motoren liefern die Kraft, die den Muskeln für die Bewegung fehlt. Antriebsspezialist Faulhaber hat dafür einen speziellen Drehmomentsensor entwickelt.

Bild 1: Das Exoskelett ebnet den Weg zum selbstbestimmten Gang im Gleichgewicht.
Bild 1: Das Exoskelett ebnet den Weg zum selbstbestimmten Gang im Gleichgewicht.
(Bild: Reha Assist)

Es gibt viele Erkrankungen, die sowohl Nerven als auch Muskeln betreffen. Manche wirken sich auf den ganzen Organismus aus, andere betreffen nur bestimmte Körperregionen. Betroffene Patienten leiden häufig an großen Einschränkungen ihrer Beweglichkeit. Denn trotz unterschiedlicher Ursachen und Verläufe haben diese Krankheiten eines gemeinsam: die oft fortschreitende Muskelschwäche (Muskeldystrophie). Das Exoskelett Autonomyo kann dann die geschwächten Muskeln unterstützen. Dabei erlaubt es einen intuitiven Bewegungsablauf, der dem natürlichen folgt. Die zusätzliche Kraft kommt aus Kleinmotoren, in die für diese Anwendung magnetische Drehmomentsensoren integriert wurden.

„Wenn sich eine Muskelschwäche in den Beinen manifestiert, wird das Gehen immer schwerer, und irgendwann funktioniert es ohne Stützen gar nicht mehr“, erklärt Mohamed Bouri, Leiter der Forschungsgruppe für Rehabilitation und Assistenzrobotik (Reha Assist) an der Technischen Hochschule Lausanne in der Schweiz (EPFL). „Die Muskeln funktionieren zwar noch, aber sie bringen nicht mehr genügend Kraft für einen stabilen Stand oder eine eigenständige Beinbewegung auf. Das hat natürlich enormen Einfluss auf Bewegungsradius und Lebensqualität. Ähnliches gilt für die Auswirkungen einer halbseitigen Lähmung nach einem Schlag­anfall. Unser Ziel war es, diese Einschränkungen so weit wie möglich zu überwinden, und zwar mit Hilfe einer motorisierten Hilfsvorrichtung, bei der die Patienten zu ihren eigenen Bewegungen beitragen können.“

Möglichst leichte Bauweise und Einbeziehung des Patienten

Die üblichen Exoskelette, die es z. B. Querschnittsgelähmten ermöglichen ohne Krücken zu gehen, wiegen oft mehr als 40 kg. Der von Reha Assist entwickelte Autonomyo (s. Bild 1) dagegen ist mit nur 25 kg deutlich leichter und arbeitet unter Einbeziehung des geschwächten, aber noch teilweise funktionierenden Bewegungsapparats des Patienten. Er wird mit einem Korsett am Rumpf und mit Manschetten an den Beinen des Benutzers befestigt. Auf jeder Seite liefern drei Motoren die Kraft, die den Muskeln für die Bewegung fehlt. Je ein Motor ist für Beugung und Streckung von Hüfte und Knie zuständig. Der dritte Motor unterstützt die Abduktion und Adduktion des Beins im Hüftgelenk, also die seitliche Bewegung von der Körper-Mittelachse weg. Dadurch helfen die Motoren dem Patienten das Gleichgewicht zu halten und aufrecht zu gehen. In einer kürzlich durchgeführten klinischen Studie, an der auch gehbehinderte Personen teilnahmen, hat das Exoskelett wie vorgesehen funk­tioniert: Es bot Unterstützung und erlaubte zugleich Bewegungsfreiheit entsprechend den Absichten der Benutzer. Der Bewegungsumfang der Gelenke und die Gangkadenz wurden dabei nicht negativ beeinflusst.

„Der erste Auslöser für eine Positionsänderung – also zum Losgehen – drückt sich in einer kleinen Veränderung der Position der unteren Gliedmaßen aus“, so Bouri weiter. „Wir erkennen dies, indem wir die Informationen von einer Trägheitsmesseinheit, acht Lastsensoren an den Fußsohlen und den Encodern der Motoren, die als Gelenkpositionssensoren dienen, miteinander kombinieren.“ Alle diese Daten tragen auch zur Unterstützung des Gleichgewichts bei. „Beim Gehen ist die Interaktion zwischen dem Gerät und seinem Benutzer entscheidend. Ein vom Antriebsspezialisten Faulhaber entwickelter Drehmomentsensor erfasst diese für die Unterstützungsstrategie wichtige Wechselwirkung.“

Hochauflösendes magnetisches Messsystem statt Dehnungsmessstreifen

Zur Drehmoment-Erfassung werden oft Dehnungsmessstreifen eingesetzt, die von der einwirkenden Kraft verformt werden. Ihr konstruktiver Schwachpunkt ist die Klebeverbindung, mit der sie aufgebracht sind. Die Entwickler im Advanced Engineering bei Faulhaber haben sie deshalb durch ein hochauflösendes magnetisches Messsystem ersetzt. Damit lässt sich im Messbereich von +/- 30 Nm eine Abweichung von weniger als 1,5 Prozent erreichen. Der Sensor liefert also einen hochpräzisen Wert des Reaktionsmoments in der Gehbewegung.

Dieser Wert hat eine zentrale Bedeutung für die Steuerung des Exoskeletts. „Die Anpassung des Geräts an den einzelnen Patienten erfordert eine sehr differenzierte Kalibrierung des Gesamtsystems“, erläutert Bouri. „Anhand der verschiedenen Parameter und der Rückkopplung aus der Bewegung errechnet die Software die Steuersignale für die Antriebe. Art und Umfang der Unterstützung durch die Motoren werden dann auf Basis dieser Informationen bestimmt."

Bild 3: Kernstück der sechs Antriebseinheiten ist ein bürstenloser 
DC-Servomotor in 4-Pol-Technologie.
Bild 3: Kernstück der sechs Antriebseinheiten ist ein bürstenloser 
DC-Servomotor in 4-Pol-Technologie.
(Bild: Faulhaber)

Spezieller Drehmomentsensor sorgt für Antrieb

Kernstück der sechs verbauten Antriebseinheiten ist der bürstenlose Motor 3274 BP4 mit 32 mm Durchmesser (s. Bild 3). Er liefert trotz der kompakten Abmessungen ein Nenndrehmoment von 158 mNm. Seine Kraft wird von einem Planetengetriebe 42 GPT mit einer speziell für diese Anwendung gefertigten Welle übertragen (s. Bild 2). Ein magnetischer Encoder IE3 liefert die Positionsdaten an die Steuerung. Der Drehmomentsensor ist in den Getrieben der vier Motoren für die Flexions- und Extensionsbewegungen von Knie und Hüfte integriert.

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Die Anforderungen an die Antriebseinheiten sind typisch für Faulhaber-Kleinmotoren: große Leistung beim kleinstmöglichen Volumen und Gewicht, Präzision, Zuverlässigkeit und lange Lebensdauer. „Die Suche nach dem passenden Lieferanten war nicht besonders schwierig“, erinnert sich Bouri. „Wir hatten die Spezifikationen definiert und da war die Auswahl der in Frage kommenden Motoren schon sehr überschaubar. Die fakultätsübergreifende Astrophysik-Forschungsgruppe unserer Universität arbeitet bereits mit Faulhaber zusammen, so dass sie überzeugende Empfehlungen aussprach, und es bestand bereits eine gute Beziehung. Hinzu kam, dass Faulhaber bereit und in der Lage war, den Drehmomentsensor in kürzester Zeit zu entwickeln. Das war sehr wichtig für unser Projekt.“

Bild 2: Das Planetengetriebe mit anwendungsspezifischer Welle.
Bild 2: Das Planetengetriebe mit anwendungsspezifischer Welle.
(Bild: Faulhaber)

Der Drehmomentsensor gehört vorerst nicht zu den Serienprodukten und wurde bisher nur für die beschriebene Anwendung in kleiner Stückzahl gefertigt. Weitere Einsatzgebiete sind aber überall dort denkbar, wo sehr genaue Drehmomentwerte gemessen werden müssen, zum Beispiel in haptischen Anwendungen wie der Roboterassistenz im Operationssaal, wo der Chirurg das Instrument führt und die Maschine für Kraft und Präzision sorgt. Der Sensor kann aber auch eine Schutzfunktion übernehmen und zur Drehmomentbegrenzung verwendet werden. Außerdem ist er für die Dokumentation in der Qualitätssicherung geeignet.

Weitere Artikel über OEM-Komponenten und Werkstoffe finden Sie in unserem Themenkanal Konstruktion.

* Die Autoren: Andreas Seegen ist Leiter Marketing bei Faulhaber und Ellen-Christine Reiff ist Fachjournalistin beim Redaktionsbüro Stutensee.

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