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Siemens 3D-Druck in der Medizintechnik: Neue Herausforderungen beim Datenschutz

Von Jim Thompson*

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Obwohl gedruckte Implantate noch nicht weit verbreitet sind, gibt es bereits umwälzende Technologien und Forschungsarbeiten, die sich aus Innovationen im additiven Fertigungsprozess ergeben. Für jede Neuentdeckung gibt es allerdings auch ein Prüfverfahren zu durchlaufen – das ist notwendig, nimmt aber Zeit in Anspruch. Sind die Hürden des Prüfverfahrens und der Zertifizierung überwunden, lassen sich aber die Früchte dieser Experimente und Investitionen ernten.

3D-Druck vor Ort: Durch Additive Fertigung lassen sich die Reaktionszeiten in der Herstellung von Implantaten deutlich verkürzen.
3D-Druck vor Ort: Durch Additive Fertigung lassen sich die Reaktionszeiten in der Herstellung von Implantaten deutlich verkürzen.
(Bild: HL Studios)

Das Gesundheitswesen und die Medizintechnik zählen zu den am stärksten regulierten Branchen der Welt – und das zu Recht. Schließlich beziehen sich beide auf detaillierte Informationen zum Gesundheitszustand von Patienten. Schutz und Sicherheit dieser Daten stehen daher bei jeder neuen Entwicklung in der Medizintechnik an oberster Stelle auf der Prioritätenliste. Beide können sich aber auch hinderlich auf die Innovation selbst auswirken, wenn mit herkömmlichen Entwicklungsprozessen gearbeitet wird. Eine Herausforderung, vor der glücklicherweise nicht nur die Entwickler medizinischer Endgeräte stehen! Wie die Medizintechnik haben seit Jahren auch die Luft- und Raumfahrtindustrie und die Automobilbauer ähnlich umfassende Vorschriften und gesetzliche Vorgaben einzuhalten. Sie tun dies, indem sie schon zu einem frühen Zeitpunkt die Anforderungen genau definieren und während des gesamten Entwicklungsprozesses im digitalen Zwilling weiter verfolgen.

Die Ähnlichkeiten gehen noch weiter, denn alle drei Branchen setzen die Additive Fertigung (Additive Manufacturing, AM) für komplexe 3D-Strukturen ein und verfeinern sie kontinuierlich weiter. Der datenzentrierte digitale Ansatz mit 3D hat viele Vorteile – die Entwürfe/Modelle können digital validiert und damit die Qualifizierungszeiten reduziert werden. Die für eine Person individuell geleistete Arbeit kann für die spätere Versorgung beibehalten werden. Der größte Vorteil besteht allerdings darin, dass in der demokratisierten Medizin für eine ständig mobile Welt das Expertenwissen in der ganzen Welt und im gleichen Moment geteilt und bearbeitet werden kann.

Additive Fertigung für medizinische Geräte

Über eine Million Knie- und Hüftprothesen werden allein in den USA jedes Jahr eingesetzt. Nach herkömmlichen Methoden müssen für diese medizinischen Implantate oft viele verschiedene Teile gegossen, gedreht und bearbeitet werden. Jedes Gussteil erfordert eine Form bzw. ein Werkzeug, wobei jedes Werkzeugteil einzeln entworfen, gebaut, gefertigt und geprüft werden muss und damit zu hohen Stückkosten beiträgt. Mit dieser einen Form werden tausende Teile gegossen, was die Kosten für jedes einzelne Werkstück senkt und die Rentabilität entsprechend steigert. Allerdings sind beim Guss und der anschließenden Bearbeitung der Werkstücke die Möglichkeiten einer patientenspezifischen Anpassung auch stark begrenzt. Herkömmliche Fertigungsmethoden eignen sich zum Beispiel nicht für Orthesen und Prothesen mit komplexen Gitterstrukturen, die oft eingesetzt werden, um das Knochenwachstum und das Einwachsen in die vorhandene Knochen- und Muskelstruktur zu fördern.

Mit AM können beide Probleme gleichzeitig gelöst werden, obwohl die Methode bisher nur langsam Einzug in die Implantatfertigung hält. Der Grund dafür liegt in dem aufwendigen Zulassungsverfahren für Teile, die im 3D-Verfahren hergestellt werden und dauerhaft oder semi-permanent als Implantat in den menschlichen Körper eingesetzt werden. Deshalb ist es auch keine leichte Aufgabe, ein Teil für den menschlichen Körper zu drucken, das zuverlässig 10.000 Zyklen und bis zum Lebensende hin funktioniert. Sicherheitsanforderungen und gesetzliche Vorschriften können von Anfang an in den digitalen Zwilling aufgenommen werden und ermöglichen somit die kontinuierliche Validierung sämtlicher Werte im Verlauf der Entwicklung, was auch die Klassifizierung durch die zuständigen Zulassungsbehörden beschleunigt.

Neue Werkstoffentwicklungen fördern ebenso die Weiterentwicklung des Additive Manufacturing in medizinischen Anwendungsbereichen. Bei den neuen digitalen Materialien wird von einem bekannten physischen, realen Material ausgegangen, zum Beispiel Titan, und über geeignete Druckstrukturen werden die Leistungseigenschaften der aus diesem Material gefertigten Teile optimiert. Das heißt, das Teil wird tatsächlich aus reinem Titan hergestellt, sein Materialverhalten weicht aber von dem herkömmlicher Massivtitanstrukturen ab. Zum Beispiel können interne Gitter das Gewicht eines Implantats deutlich reduzieren, weil das Gitter durchgängig dafür sorgt, dass die Anforderungen an Belastbarkeit und Haltbarkeit erfüllt werden. In einem anderen Beispiel könnte der interne Teil des Knie-Implantats in einer Gitterstruktur gedruckt werden, die einen Rückfederungskoeffizienten beinhaltet. Diese funktionale Struktur sorgt dafür, dass das Kniegelenk am Übergang zum Implantat und der umgebenden Knochenstruktur abgefedert wird.

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Organische Systeme, anorganische Werkstoffe

Medizinische Geräte benötigen oft organische Formen, damit sie individuell angepasst werden können. Das erfordert deutlich kompliziertere Strukturen als die typischen Konstruktionsteile oder Werkzeuge. Das additive Fertigungsverfahren für Implantate, Instrumente oder Prothesen passt also die Teile an die Anatomie des Patienten an und verbessert damit den Therapie- und Behandlungserfolg.

Beim Kniegelenksersatz geht es zum Beispiel nicht nur darum, den passenden anatomischen Sitz zu finden, sondern auch darum, das Implantat dem Zweck entsprechend anzupassen. Also wird die bionische Anatomie simuliert, um die geeignete Leistung für den vorgesehenen Zweck zu validieren. Die Simulation liefert auch eine Rückmeldung zu Anpassungen der Form des Implantats, oder seiner Positionierung, um dann zielgenau die optimale Passgenauigkeit und Leistungsfähigkeit erreichen zu können. Selbst die Standardpraxis, bei der Nadeln ein gebrochenes Hand- oder Fußgelenk an der richtigen Stelle fixieren, profitiert vom additiven Fertigungsverfahren, weil es die Passform, die Heilungsdauer und die Qualität verbessert.

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(Bildquelle: VCG)

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Bei den meisten Implantaten wird die Verwendung eines Schnittplans empfohlen, damit der Operateur präzise und minimale Schnitte beim Eingriff setzen kann. Üblicherweise haben Chirurgen dafür bisher mit Kits gearbeitet, die Schnittführungen in verschiedenen Größen für die genaue Größe des Implantats enthielten. Dieser Prozess ist aufwendig und erfordert einen versierten Operateur, der das Implantat oder Teil richtig gut verankern können muss, ist aber Grundvoraussetzung für die optimale Funktionalität des Teils und für den Heilungsprozess. Dieses Einheitskonzept macht nun Platz für Innovationen mit Additive Manufacturing.

Oft muss vor chirurgischen Eingriffen ein Computertomogramm der Anatomie des Patienten aufgenommen werden, mit dem ein genaues Abbild seines Körperbaus in Form eines digitalen Zwillings erstellt wird. Der digitale Zwilling der Anatomie des Patienten hilft bei der Erstellung einer Einweg-Bohrschablone, die genau der Anatomie des Patienten entspricht und die optimale Schnittsetzung und Platzierung des Implantats gewährleistet. Diese Schablonen können den Operateur dabei unterstützen, den chirurgischen Eingriff in seiner Variabilität einzuengen.

Eine derartige Fülle an Informationen zur Anatomie einer Einzelpersonen muss geschützt werden. Digitale Dateien sind physisch nicht so geschützt wie Papierdokumente, die in einem Schrank weggesperrt sind. Aber wie bei der Einführung des AM, hat auch hier die Luft- und Raumfahrtindustrie bereits den Weg für höchst vertrauliche Entwürfe/Pläne gebahnt, den viele Hersteller durch strenge digitale Genehmigungsverfahren und Dateiverwaltung im digitalen Zwilling umsetzen müssen.

Globale Konnektivität

Der wahrscheinlich überzeugendste Vorteil in der Einführung der AM-Praxis in der Medizin wird in puncto Tempo und Komfort deutlich, mit dem diese Aufgabe gemeinsam gelöst werden kann. Eine der größten Lektionen des Jahres 2020 war die Erkenntnis, dass dem Rapid Response Manufacturing, der schnellen Reaktionsfähigkeit in der Produktion, gerade in Notzeiten eine einmalige Rolle zukommt. So kann man sich leicht mehrere Szenarien vorstellen, in denen unterbrochene Lieferketten die Versorgung einzelner Bevölkerungsgruppen beeinträchtigen können. Naturkatastrophen, Wirtschaftskrisen, politische Unruhen und natürlich Pandemien sind allesamt solche Situationen, in denen die Lieferketten oft unterbrochen sind und die Bevölkerung medizinisch versorgt werden muss. Die Tatsache, dass bei diesem Fertigungsverfahren das notwendige Wissen gemeinsam genutzt und der Arbeitsaufwand geteilt werden, verändert sicher auch die medizinische Praxis noch weit in die Zukunft hinein.

Das bedeutet also, dass ein Patient nicht Zeit und Geld aufwenden muss, um in eine Weltklasse-Klinik in der Schweiz oder anderen Teilen der Welt zu reisen, sondern der virtuelle, digitale Zwilling des Patienten reist virtuell über die Cloud, wo er dargestellt, analysiert, gedruckt und aus der Ferne operiert wird und damit dem Arzt vor Ort eine wesentliche Hilfestellung an die Hand gibt.

Wenn die medizinischen Aufnahmen und die Pathologiedaten an eine Zentralstelle übertragen werden, leiten die Experten die Auftragsarbeit in die Wege, die Ergebnisse werden elektronisch geprüft und vom Arzt des Patienten genehmigt, bevor das Implantat im 3D-Druckverfahren gedruckt und dann versandt wird. Und in Zukunft könnte der Druck auch vor Ort erfolgen, womit auch die Lieferkettenprobleme vermieden würden, die sich aus wirtschaftlichen Engpässen ergeben könnten.

Digitaler Zwilling und additive Technologien für die Medizin

Der Einfluss der Additiven Fertigung auf die Medizingeräte-Branche kann nicht deutlich genug unterstrichen werden, insbesondere angesichts der Durchgängigkeit des additiven Prozesses. Darüber hinaus ermöglicht der Einsatz modernster Design-/Konstruktionswerkzeuge, die auf die Additive Fertigung zugeschnitten sind, ein maßstabgerechtes Fertigungsvolumen, Gitterstrukturen und Formoptimierungsalgorithmen, die im Ergebnis zu robusten und belastbaren Leichtbauteilen führen.

Der digitale Arbeitsablauf erweitert die Möglichkeiten der Konstruktion und verkürzt gleichzeitig die Entwicklungszeiten. Er schafft damit einen weiten Rahmen, von dem auch künftige Projekte profitieren. Hier geht es nicht nur um digitale Anforderungen und Modelle, sondern vielmehr um die Entwicklung sicherer Software für vernetzte Endgeräte, die kontinuierliche Validierung von Produkten, etwa wenn sich Anforderungen ändern, sowie um eine individualisierte Versorgung jedes Patienten.

Bei der Entwicklung medizinischer Endgeräte wird es demnach künftig vor allem darum gehen, das Entwicklungstempo für vernetzte Versorgungssysteme zu beschleunigen und dabei gleichzeitig die Sicherheit und den Schutz der Privatsphäre für alle zu wahren.

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* Der Autor: Jim Thompson, Senior Director Strategy and Solution Management, Siemens Digital Industries Software for the Medical Device and Pharmaceutical Industries

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