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ZVEI 100 intensive Jahre ZVEI

Redakteur: Peter Reinhardt

Die Geschichte des ZVEI ist eng verknüpft mit der Medizintechnik – und umgekehrt. Ein Porträt mit vielen Meilensteinen: von der Verbandsgründung über die Zeit des Nationalsozialismus bis in die Gegenwart und Zukunft.

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Mit Michael Ziesemer als Präsident geht der ZVEI ins Jahr seines 100-jährigen Jubiläums.
Mit Michael Ziesemer als Präsident geht der ZVEI ins Jahr seines 100-jährigen Jubiläums.
(Bild: ZVEI)

Früher war alles besser? Nicht unbedingt. Das Selbstverständnis der deutschen Elektroindustrie steht dieser Aussage jedenfalls diametral gegenüber. Statt in die Vergangenheit schaut sie daher in die Zukunft. Keine andere Branche treibt Innovationen so stark voran: Fast 12.000 Patente meldet sie jedes Jahr in Deutschland an, ein Drittel der Erlöse werden mit Produktneuheiten erzielt, ein Viertel aller F&E-Beschäftigten in Deutschland arbeiten in der Elektroindustrie, über 26 Mrd. Euro gaben Firmen der Branche 2016 für Innovationen aus. Die Medizintechnik sticht hier hervor: Die Produktlebenszyklen sind in diesem Wirtschaftszweig besonders kurz.

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Die Gründung des ZVEI

Innovationen stehen aber nicht erst seit kurzem im Fokus der Elektroindustrie – im Gegenteil. Am 5. März 2018 kann der ZVEI als Stimme der deutschen Elektroindustrie auf eine 100-jährige Geschichte der Innovationen zurückblicken. Aber was veranlasste kühne Industrielle, kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs, einen Zentralverband der Elektroindustrie zu gründen? Es war die Einsicht, dass die Branche gemeinsame Interessen hatte, um deren Vertretung es schlecht bestellt war – im Krieg noch mehr als im Frieden. Anders als der Maschinenbau oder die chemische Industrie hatte die Elektroindustrie bis dahin keinen Branchenverband. Vielmehr bestanden viele kleinere Verbände, die untereinander zerstritten waren. Ein besonders scharfer Gegensatz bestand zwischen den Konzernen Siemens und AEG und den mittleren und kleinen Firmen der Elektroindustrie.

Dass es letztlich doch gelang, die zerstrittenen Verbände an einen Tisch zu bringen, war vor allem das Verdienst von Carl Friedrich von Siemens, dem jüngsten Sohn von Firmengründer Werner von Siemens. Er verhandelte jahrelang um das Zustandekommen eines Branchenverbands und sollte an jenem 5. März im Jahre 1918 sein Ziel erreichen. Schon der Name des neuen Verbands war eine Botschaft. Als Zentralverband sollte er über den verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Elektroindustrie stehen und deren gemeinsame Interessen vertreten. In dieselbe Zeit fällt die Gründung des Fachverbands Elektromedizinische Technik im ZVEI. Zwar sind hierzu keine Unterlagen auffindbar, es ist aber bekannt, dass es zum Zeitpunkt der Gründung des ZVEI auch schon eine Reihe von medizintechnischen Spezialverbänden gegeben hat, die sich ebenfalls dem neuen ZVEI anschlossen.

Die Medizintechnik ist von Anfang an dabei

Auffallend ist, dass der ZVEI in der Medizintechnikbranche von Anfang an eine wichtige Rolle wahrgenommen hat, indem er die Interessen der Hersteller bei der Normung vertreten hat. Das betrifft zum einen den Bereich des Strahlenschutzes beim medizinischen Röntgen. Hier hat der ZVEI seit den 1960er Jahren nach Verabschiedung des damaligen Atomgesetzes mit dafür gesorgt, dass über den Normenausschuss Radiologie (NAR) ein umfassendes Normenwerk zur Qualitätssicherung von Röntgenuntersuchungen entstanden ist. Diese Normen werden seitdem ständig aktualisiert und sichern bis heute ein international herausragendes Niveau beim Strahlenschutz, welches zugleich offen ist für innovative Methoden der Röntgentechnik.

Mit Carl Friedrich von Siemens durch die Weimarer Republik

Als ersten Vorsitzenden haben die Gründer unterdessen Antreiber Carl Friedrich von Siemens bestimmt. Er blieb dies fünfzehn Jahre lang − bis 1933. Gemeinsam mit dem von ihm eingesetzten Hauptgeschäftsführer Hans von Raumer konnte er die Gegensätze zwischen den Interessen seiner Mitglieder ausgleichen. Auch leistete der ZVEI seinen Mitgliedern wichtige Dienste in den Jahren der großen Inflation und während der Weltwirtschaftskrise. Unter Raumers prägendem Einfluss entwickelte der ZVEI eine eigene Identität. Der Verband stand im Unterschied zu vielen anderen vorbehaltlos hinter der Demokratie der Weimarer Republik, trat für eine Sozialpartnerschaft ein und engagierte sich international, durch eine Kooperation mit dem Verband der französischen Elektroindustrie, aber auch bei Abkommen mit der Sowjetunion.

Derweil schickte sich die Elektrifizierung an, die Welt maßgeblich zu verändern. So machte beispielsweise die Erfindung von Rauchwarnmeldern im Jahre 1896 die Welt ein bisschen sicherer. Der Einsatz von vollautomatischen Waschmaschinen ab 1951 erleichterte dagegen die Arbeit im Haushalt elementar. Heute sind die Produkte der Elektroindustrie aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Von der Energieversorgung über elektronische Küchenhelfer, Industriemaschinen und Unterhaltungselektronik bis zu Straßenbahnen und Zügen kommen wir jeden Tag mit ihnen in Berührung.

Meilensteine der Medizintechnik

Über die Innovationen in der Medizintechnik können beziehungsweise müssen das die meisten glücklicherweise nicht sagen. Aber auch sie hatten einen großen Einfluss auf die Gesellschaft. Zu den besonders bedeutenden gehört die 1929 erfundene Elektroenzephalografie (EEG), die – ständig verbessert – auch jetzt noch zu den Standarduntersuchungen in der Neurologie zählt, zum Beispiel bei Epilepsie oder in der Schlafmedizin. Auch der 1958 erstmals implantierte Herzschrittmacher stellt einen Meilenstein für die Medizin dar. Heute werden in Deutschland über 100.000 operative Herzschrittmacher-Eingriffe pro Jahr vorgenommen. Die 1960 entdeckte Ultraschalltechnik kommt nun in fast allen medizinischen Fachrichtungen zum Einsatz und auch die Röntgendiagnostik ist aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken. Über das Röntgen hinaus ist die medizinische Bildgebung eine der Techniken, die sich besonders stark weiterentwickelt haben. Waren 1895 auf Röntgenbildern nur undeutliche Schatten erkennbar, so ermöglicht die Computertomographie heute eine detaillierte Darstellung von Körperstrukturen in 3D.

Eines haben Innovationen aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gemeinsam –der Mensch steht im Mittelpunkt. Es sind Menschen, die mit ihren Ideen die Welt verändern, nicht die Maschinen oder Künstliche Intelligenz, und es sind die Menschen, die davon profitieren.

Der ZVEI im Dritten Reich

Doch auf dem Weg in die Gegenwart musste auch der ZVEI durch dunkle Zeiten. Ab 1937 war Heinrich Ostermann Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Elektroindustrie, einer ständischen Zwangsorganisation für alle Unternehmen der Branche, in die der Verband bereits drei Jahre zuvor unter der Herrschaft der Nationalsozialisten umgewandelt worden war und in deren Satzung sich das Führerprinzip verankert fand. Sie war der Reichsgruppe Industrie und indirekt dem Reichswirtschaftsministerium untergeordnet.

Ostermann hatte Glück, dass damals nicht entdeckt wurde, wie widersprüchlich er sich verhielt. Während er als Mitglied der NSDAP nach außen keine Zweifel an seiner Regimetreue aufkommen ließ, hat er still und heimlich rund 20 ehemalige Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten bei der Wirtschaftsgruppe eingestellt und so deren Überleben gesichert.

Als der ZVEI am 23. Februar 1949 in Frankfurt am Main neu gegründet wurde, war dies ein wirklicher Neubeginn. Zum Vorsitzenden wurde mit Friedrich Sperl wohl ganz bewusst ein Industrieller gewählt, der als Gegner des NS-Regimes in KZ-Haft gewesen war. Hatte der Verband im ersten Jahrzehnt noch rund 100 Mitglieder, sind es heute etwa 1.600. Auch darin spiegelt sich die dynamische Entwicklung der Branche wider. Viele Beispiele zeigen: Die Elektroindustrie kann auf (überlebens)wichtige Erfindungen zurückblicken.

Was bringt die Zukunft?

Mindestens genauso spannend ist jedoch ein Blick in die Zukunft. Neue Erfindungen gehen aktuelle Herausforderungen an und suchen nach Lösungen. So forschen Entwickler zurzeit an Organen aus dem 3D-Drucker, Brain-Computer-Interfaces sollen die Steuerung von Prothesen per Gedanke ermöglichen und Exoskelette unterstützen die Bewegungen des Körpers. Diesen als Batterie zu nutzen und so die Energie für Prothesen oder Exoskelette zu erzeugen, ist vielleicht schon bald keine Zukunftsmusik mehr.

Das alles macht deutlich: Veränderung liegt quasi in der DNA der Elektroindustrie – das lässt ihre Geschichte zweifelsohne erkennen. Sie ist eine Branche, die sich schon immer mit der Zukunft auseinandergesetzt hat und dies auch weiterhin tut. Neu ist die Geschwindigkeit des Wandels. Dessen Charakter verändert sich durch die Digitalisierung. Er findet nicht mehr schrittweise statt, sondern immer häufiger disruptiv. Das gilt ganz besonders für die Gesundheitswirtschaft: Hier werden bekannte Abläufe und Prozesse durch die Digitalisierung durchbrochen: Statt nacheinander abzulaufen, finden sie parallel statt und beeinflussen sich gegenseitig. Dabei spielen Daten eine immer größere Rolle, medizinisches Wissen entwickelt sich exponentiell. Das hat große Vorteile: Krankheiten können früher erkannt werden, neue Therapien werden möglich und die Gesundheitsversorgung wird individualisiert, das heißt auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten angepasst.

Nutzen der Digitalisierung für die Gesundheitsversorgung

Unter dem Strich sorgt die Digitalisierung dafür, dass wir uns dauerhaft ein leistungsstarkes und bezahlbares Gesundheitssystem erhalten können. Sie wirft jedoch auch neue Fragen auf. Wie wollen wir mit dem neu gewonnenen Datenschatz umgehen und wer hat darauf Zugriff? Wie kann verhindert werden, dass Unbefugte an die Daten gelangen? Zudem müssen ethische Fragestellungen diskutiert werden. Wie soll beispielsweise mit Zufallsbefunden aus der bildgebenden Diagnostik umgegangen werden, die zukünftige – möglicherweise (noch) nicht behandelbare – Krankheiten aufdecken?

Um den möglichen Nutzen für die Gesundheitsversorgung aus der Digitalisierung zu heben, ist es nun aus ZVEI-Sicht entscheidend, dass alle Beteiligten das Ausmaß und die Art und Weise der Veränderung, die mit ihr einhergehen, realisieren. Dazu gehört, dass einzelne Technologien nicht isoliert, sondern alle Aspekte zusammen betrachtet sowie Prozesse und Arbeitsweisen angepasst werden.

Der ZVEI fordert genau das und gestaltet so die Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft maßgeblich mit. Er tritt dafür ein, dass digitale Anwendungen in der Gesundheitswirtschaft erfolgreich umgesetzt werden und setzt damit seine bald 100-jährige Geschichte fort, wie sie begonnen hat – mit Innovationen für Menschen.

Aktuelle Themen des Fachverbands Elektromedizinische Technik sind daher:

  • Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft (s. ZVEI-Grünbuch)
  • Medical Devices Regulation (MDR)
  • Cybersicherheit in der Medizintechnik
  • Datennutzung in der Gesundheitswirtschaft
  • Nutzenbewertung bei Medizinprodukten
  • Integration im OP

Die Auszüge aus der Gründungsgeschichte des ZVEI (1918-1945) basieren auf einer Ausarbeitung, recherchiert von Prof. Dr. Johannes Bähr, Goethe-Universität Frankfurt am Main, im Auftrag des ZVEI zu dessen Geschichte.

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